Wasserpredigt

Liebe Gemeinde!  
Eine Geschichte – mit Konfirmanden erarbeitet – zu Psalm 23

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, eigentlich ein Märchen, ein Märchen aus uralter Zeit, als es noch Prinzen gab, die tatsächlich über ein Königreich herrschten. Da gab es einmal vor langer Zeit einen Prinzen in einem fernen Land, einem schönen und fruchtbaren Reich. Dieser Prinz hatte sich nun, wie das in Märchen häufiger passiert, in ein unbekanntes, schönes junges Mädchen verliebt, von dem keiner wusste, woher es kam.
Alle Berater rieten dem jungen König von einer Eheschließung ab, aber der, wie junge Leute nun mal sind, ließ sich nicht belehren, und schon bald wurde die Hochzeit in Gegenwart vieler Staatsgäste und mit viel Pomp und Trubel im ganzen Land gefeiert. Die Kinder bekamen schulfrei und die Erwachsenen Freibier, und so manches „Hoch“ wurde auf das junge Paar aus gebracht.

Normalerweise hören Märchen spätestens hier auf und schließen mit den Worten: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Anders dies Märchen. Das fängt jetzt erst richtig an. Das ist so wie im richtigen Leben.

Nachdem nun ein Jahr vergangen war, wurde dem jungen Paar ein Sohn geboren. Der Prinz war überglücklich, und voller Freude schenkte er seiner Frau einen kostbaren Ring. Doch die sah ihn nur rätselhaft und traurig an und sagte: „Ach, wenn du mir doch einen Laib Brot geschenkt hättest!“ Der Prinz war verblüfft, wie man sich wohl vorstellen kann. Schließlich war der Ring nicht billig gewesen, und was ist schon ein Laib Brot für eine Königin! Aber er liebte seine Frau, und so schwieg er und sagte kein Wort.

Ein Jahr später wurde die Königin zum zweiten mal schwanger, und sie gebar eine Tochter. Auch diesmal war der Prinz außer sich vor Stolz und Freude, aber diesmal wollte er wirklich nichts falsch machen und schenkte seiner Frau ein Halsband aus reinem Gold, das mit kostbaren Edelsteinen besetzt war. Aber wieder sah ihn seine junge Frau nur rätselhaft und traurig an und erwiderte: „Ach, wenn du mir doch Datteln und Feigen geschenkt hättest!“ Diesmal war der Prinz schon ganz schön sauer. Auch für Prinzen sind goldene Halsbänder nicht ganz billig. Aber er schwieg und sagte kein Wort, denn, wie gesagt, er liebte seine Frau sehr.

Und ein Jahr später, wir haben es sicher schon erraten, wurde den beiden wiederum ein Sohn geboren. Der stolze Vater dachte an seine beiden ersten Kinder und daran, wie seine Frau auf seine Geschenke reagiert hatte. „Vielleicht mag sie keinen Schmuck“, dachte er und befahl den berühmtesten Schneidern seines Reiches, ein über die Maßen kostbares Kleid anzufertigen. Darüber muss sie sich einfach freuen, dachte der Prinz zufrieden, als er das Meisterwerk betrachtete. Aber wie es nun einmal im Märchen kommen muss – anders als im wirklichen Leben -, die junge Frau betrachtete das Kleid fast gar nicht und seufzte nur rätselhaft und traurig. „Ach, wenn du mir doch einen Becher mit frischem Wasser geschenkt hättest!“ Der Prinz war sprachlos. So etwas Undankbares war ihm noch nicht vorgekommen. Wir sehen, Prinzen haben nicht unbedingt viel Ahnung vom wirklichen Leben. Voller Zorn verließ er seine Frau, und in seiner Wut dachte er daran, die Undankbare aus dem Schloss zu jagen. Aber er liebte seine Frau wirklich aufrichtig. So verwarf er seinen ersten Plan und versammelte seine Ratgeber um sich und erzählte ihnen, was sich ereignet hatte.

Die Ratgeber waren ratlos. So etwas hatten sie weder jemals gehört noch gelesen. Aber obwohl die klugen Ratgeber keinen Rat wussten, gaben sie dem Prinzen viele Ratschläge, angefangen von kalten Wickeln bis hin zum Lebertran.
Der Prinz war äußerst ungnädig mit seinen Ratgebern, was im übrigen typisch ist für Märchenprinzen. Selber nicht weiter wissen, aber sauer sein, weil die andern auch keinen Rat wissen.

„Wofür werdet ihr eigentlich bezahlt?“ schrie der Prinz mit hochrotem Kopf und drohte mit Gehaltskürzung bzw. mit Kerker. Die armen Ratgeber standen da und schlotterten, was nicht weiter verwunderlich ist. Aber dann hatte doch einer eine Idee. Das musste ja auch sein, weil sonst das Märchen schon wieder zu Ende wäre. „Bitte doch deine Frau“, schlug er vor, „mit dir in das Land ihrer Väter zu reisen. Vielleicht findest du dort des Rätsels Lösung!“

Der Prinz war begeistert. Sofort beförderte er diesen Ratgeber zum Oberratgeber, und in aller Eile wurde die Reise vorbereitet. Schon nach wenigen Wochen stach man in See und fuhr in die Richtung, die die junge Frau angegeben hatte.
Reisen war damals gefährlich, und so ist es kein Wunder, dass die kleine Gesellschaft in viele Gefahren verwickelt wurde. Doch sie überstand alle Gefahren gesund und munter und so geschah es, dass man nach wochenlanger dramatischer Fahrt endlich im Land landete, das einst den Vorfahren der jungen Königin gehört hatte.

Als besonders einladend konnte man es wirklich nicht bezeichnen. Ein ödes, leeres, unbewohntes und erstorbenes Land war es, ein höllenheißer Wind fegte über die karge Wüsten- und Steppenlandschaft, und weit und breit kein Mensch zu sehen, aber auch keine Blumen und Pflanzen und keine Tiere, wenn man von einigen Skorpionen und Giftschlangen mal absah. Der Prinz ärgerte sich. Das war der Lohn für die mühevolle Reise? Prinzen sind im Märchen meist ein wenig emotional. Aber die junge Frau wies nur stumm auf eine alte, verwitterte Steintreppe, die in den Felsboden hinein führte.
Der Prinz befahl, Laternen zu holen, und mit ein paar beherzten Männern stieg das Königspaar die bedrohliche, unheimliche Treppe hinab. Immer dunkler wurde es, die Treppe schien in die Unendlichkeit zu führen. Die Luft wurde stickiger und war bald kaum noch zu atmen. Plötzlich endete die Treppe vor einer schweren Eisentür.

Die junge Königin nahm einen Schlüssel aus ihrer Tasche, öffnete die Tür, die Männer leuchteten in den Raum, und es verschlug ihnen den Atem. Der Raum war über und über mit Gold und Silber gefüllt; Gold- und Silberbarren waren aufgestapelt, Truhen bis zum Rand gefüllt mit Gold- und Silbermünzen, kostbare Leuchter gab es und Ketten und Ringe. Ein unerhörter Märchenschatz.
„Auch ich“, begann die Königin zu erzählen, „stamme aus königlichem Geschlecht. Mein Vater war Herrscher dieses mächtigen Reiches. Hier befinden wir uns in der Schatzkammer, und ihr seht das Silber und das Gold, das mein Vater durch seine weltweiten Handelsbeziehungen erwerben konnte. Ich muss zugeben, seine Geschäftspraktiken mit unseren armen Nachbarn waren nicht immer ganz astrein. Aber er konnte die Preise bestimmen, wie er wollte, und Moral taugt nicht fürs Geschäftsleben, pflegte er immer zu sagen. Hier jedenfalls ist das Ergebnis.“

„Beeindruckend, wirklich beeindruckend!“ murmelte der Schatzmeister des Prinzen, und er dachte mit einem Unbehagen an die leere Staatskasse daheim, und insgeheim beschloss er, sofort nach seiner Heimkehr die Mehrwertsteuer und die Steuer für leichtes Heizöl zu erhöhen.

Am Ende des Raumes befand sich ein schweres Bronzetor. Mit einem zweiten Schlüssel öffnete die Königin auch dieses Tor und ließ die Männer eintreten. Als diese den zweiten Raum betraten, da vergaß sogar der Schatzmeister alle seine Steuererhöhungen. Der Raum war gefüllt mit den kostbarsten und seltensten Edelsteinen; Smaragde, Rubine, Diamanten von nie gesehener Reinheit. Die kleine Gruppe war überwältigt. Gier spiegelte sich in ihren Augen, als sie diesen unermesslichen Schatz betrachteten.

„Mein Vater“, fuhr die Prinzessin fort, „war auch ein gefürchteter Kriegsherr. Unsere Armee war hoch gerüstet und überall gefürchtet. Hier liegt die Beute und die riesigen Tributzahlungen, die die unterworfenen Völker an uns leisten mussten.“

Der Kriegsminister des Prinzen, der natürlich mitgefahren war, knirschte mit seinen Zähnen. „Dieser unglückselige Pazifist, unser Prinz“, dachte er verbittert. „Wenn der auf mich hören würde, wäre mehr Geld da für Rüstung und wir könnten ohne Furcht gegen unsere Nachbarn in den Krieg ziehen. Statt dessen dieses dumme Gerede von Menschenrechten und von Selbstbestimmungsrecht der Völker.“ Und er beschloss, in der nächsten Ratsversammlung für die Erhöhung des Verteidigungshaushaltes zu plädieren und nachdrücklich zu verlangen, dass die neuen Raketen nun endlich gebaut würden.

Die Prinzessin wies auf ein großes gepanzertes Tor mit sieben Schlössern. „Aber hier“, fuhr sie fort, „hier hinter diesem Tor befindet sich das Kostbarste, was unser Reich zuletzt besaß.“
Und mit sieben goldenen Schlüsseln schloss sie das Tor auf. Neugierig und gierig drängten die Männer heran. Was auf der ganzen Welt konnte es noch Kostbareres geben als das, was sie bis jetzt gesehen hatten? Riesige Edelsteine? Oder irgendwelche Zaubergegenstände? Oder geheimnisvolle Erfindungen?

Der Prinz leuchtete in den Raum hinein. Der Raum war leer. Nur in der Mitte stand ein Brunnen. Alt und hässlich war er, verrostet und sicher schon lange nicht mehr in Gebrauch. Die Männer, sahen ein wenig dämlich aus. Vor allem der fassungslose Prinz brachte vor Verblüffung kein Wort heraus.

„Dieser Brunnen“, erklärte die Prinzessin, „ist der letzte Brunnen unseres Reiches, aus dem Wasser floss, damals vor vielen Jahren während der großen Dürrezeit. Hierhin hatten sich das Königshaus und mein Vater zurückgezogen, um zu sterben, als das Volk anfing zu verdursten. Silber und Gold und Edelsteine hatten wir gehortet, Kriege geführt, fremde Länder erobert und rauschende Feste gefeiert. Geld war genug vorhanden, und das Land war groß und fruchtbar. Nur auf die große Dürre waren wir nicht vorbereitet. Sie traf uns völlig überraschend. Wer hatte schon Zeit und Lust, sich um so etwas Lächerliches und Selbstverständliches wie Wasser zu kümmern?

Aber dann blieb der Regen aus. Unsere Bäche und Flüsse vertrockneten. Das Wasser in den Seen war vergiftet von unseren Fabriken, und unsere Nachbarn weigerten sich, uns Wasser zu geben. Schon bald war unsere Armee zu schwach, um zu kämpfen, und es wollte und wollte nicht regnen.“
Die Prinzessin verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte leise. „Dies ist meine Geschichte, mein geliebter Prinz. Ich allein bin übrig geblieben, es euch zu künden. Aber ich fürchte, die Menschen werden nicht auf mich hören. Gold und Silber wollt ihr besitzen, aber das, was man wirklich zum Leben braucht, das Wasser, das vergeudet ihr und vergiftet es. Ich verspreche euch, wenn ihr euch nicht ändert, dann wird das, was ihr euch aufgebaut habt, untergehen in Feuer und Blut und Vernichtung.“

Soweit das Märchen, liebe Gemeinde. Im Psalm 23 heißt es: „Der Herr ist mein Hirte. Er führet mich zum frischen Wasser.“ Vielleicht können wir diesen Vers nun verstehen. Er bedeutet: Gott will, dass wir leben. Er will nicht, dass wir verdursten. Gott will nicht, dass seine Schöpfung zerstört wird. Er will eine Welt, in der sich zu leben lohnt.
Amen.

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Erstellt am: 22.10.2012 17:03 Uhr

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