02. September 2012 – Puerto de la Cruz

PREDIGT von Pfarrer Andreas Knüpffer

Liebe Gemeinde!
Kain und Abel, zwei Brüder, doch von  Anfang an ganz ungleiche Brüder! Als der erste geboren wird, jubelt seine Mutter: »Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe Gottes!« Dabei ist er doch erst ein Säugling. Aber er muss ein ganz ungewöhnlich kräftiger Kerl gewesen sein, so dass seine Mutter in ihm schon jetzt den kraftvollen Mann sieht. Ganz anders der zweite. Seine Mutter nennt ihn Abel, d.h. vergänglicher Hauch. Er ist so leicht, zart und kurzlebig. Doch auch der schwächliche Abel überlebt und wächst heran wie Kain, sein kraftvoller Bruder.

Als sie groß sind, landen sie in ganz verschiedenen Berufen. Kain wird ein Ackerbauer, Abel ein Schaf- und Ziegenhirt. Die Bauern siedeln im fruchtbaren Teil des Landes, wo es öfter regnet. Sie können den Boden intensiv nutzen, Vorräte anlegen und größere Siedlungen bauen. Sie sind besser gewappnet gegen schlechte Jahre und Angriffe von außen. Die Kleinviehhirten ziehen in die Steppe von Platz zu Platz, denn dort regnet es wenig, und die Weiden sind schnell abgefressen. Sie leben in Zelten, weil sie keine
festen Häuser bauen können, und wehe, wenn einmal die wenigen Brunnen
versiegen! Die Bauern sind die Stärkeren, die Hirten die Schwächeren. So
war es in jenen alten Zeiten und auch bei uns bis vor hundert Jahren. Wenn
die Bauern nur genug fruchtbares Land hatten, wurden sie wohlhabend.
Die Schäfer, die mit ihren Schäferkarren von Ödland zu Ödland zogen,
waren immer arme Schlucker. –

Ungleiche Brüder, ungleiche Schwestern, das kennen wir heute genauso,
nicht nur in der Familie, sondern wohin wir blicken. Es gibt Starke und
Schwache, Große und Kleine, Gesunde und Kranke, Beliebte und Unbe-
liebte, Attraktive und Unscheinbare, Glückspilze und Pechvögel, Arme und
Reiche, Arbeitslose und Unkündbare, Fachleute und Laien, (Wessis und
Ossis, deutsche Mitbürger und türkische Mitbürger), Schwarze und Weiße,
die G20-Staaten, die im Überfluss leben und die 40 ärmsten Länder, in denen Menschen verhungern.

Aber Kain und Abel sind und bleiben Brüder. So bleiben wir alle Geschwister, Kinder derselben Erde, Geschöpfe desselben himmlischen Vaters. Ist uns das eigentlich bewusst? Wie geht die Geschichte weiter? Man sollte erwarten, dass sich der kräftige Kain gut, der schwächliche Abel nur kümmerlich ernährt. Aber es kommt anders. Gott stellt sich auf die Seite des Schwachen. Damit ist die Grundmelodie der Heilsgeschichte angeschlagen (Israel wird erwählt, nicht Ägypten oder Babylonien, Jesus preist die Armen glücklich . . .).
»Da wurde Kain sehr wütend und senkte finster seinen Blick. « Das ist
verständlich. Ohne Grund sieht er sich benachteiligt. Er hatte Gott ebenso
gedankt wie Abel. Warum soll es diesem auf einmal besser gehen als ihm?
Starke vertragen es besonders schlecht, wenn sie in ihrer Stärke in Frage
gestellt werden. Sie werden aggressiv. Aber der Neid wohnt auch bei den
Schwachen. Kain steckt in jedem Mann und in jeder Frau, macht wütend
und stört die Kommunikation…

Noch ist nichts passiert, liebe Gemeinde. Gott geht verständnisvoll auf Kain
ein; er sagt : »Du weißt doch, wie gut es tut, wenn man den anderen in die Augen blicken kann! Da lauert die Sünde wie ein Raubtier, aber du kannst sie beherrschen. «

Und dann passiert es doch. Draußen auf dem Feld, wo‘s keiner sieht,
schlägt Kain den Abel tot. Der Schwächling hat keine Chance gegen den
Kraftmann.  – Wir sind keine Brudermörder, sonst säßen wir nicht friedlich
hier. Aber der Mord hat viele Vorstufen, und Jesus sagt: Die sind genauso
schlimm.
Wer hat nicht schon einmal nach einem Streit gedacht: den könnte ich  umbringen!

Abel ist tot. Der Rivale scheint beseitigt. Aber Gott spricht durch das
Gewissen. Er steht auf der Seite der Schwachen. Er redet für den stummen
Abel. Kain wehrt sich: »Soll ich den Hüter hüten? « So wehren auch wir
uns: »Die sind doch selber schuld … Was kann ich für die Gesetze des
Marktes? . . .« Wir wissen, dass das Gewissen recht hat. Blut schreit.
Schuld nagt.

Kain wird bestraft, indem er die Folgen seiner Tat tragen muss.

Wenn man sich das vor Augen führt, kann einem himmelangst werden, wie
Kain  als Nomade überleben soll. Weil er die Steppe nicht kennt, zu keiner der dortigen Sippen gehört, meint er, er sei nun völlig schutzlos und vogelfrei.
Gott aber gibt ihm ein besonderes Schutzzeichen. –

Soll ich meines Bruders Hüter sein, ich, heute? Ja, so will es Gott. Abel soll
leben! Unsere Aufgabe ist es, Schwache zu stärken, Unbeliebte besonders
zu beachten, Verstummten Stimme zu geben, Rechtlosen zum Recht zu ver-
helfen.

Abel soll leben! Und was ist mit uns, wenn wir, wie so oft, an dieser Aufgabe versagen, ja sogar das Gegenteil bewirken? Sind wir dann verstoßen und verdammt? Nein!

Auch Kain soll leben. So will es Gott. Er erbarmt sich auch über ihn. Beide
sollen leben, Kain und Abel, denn beide sind und bleiben Gottes geliebte
Kinder.  Amen

Infos unter:

Erstellt am: 02.09.2012 19:57 Uhr

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