15. Sonntag nach Trinitatis

16. September 2012 – Puerto de la Cruz
PREDIGT von Pfarrer Andreas Knüpffer

Liebe Gemeinde!
Wir Christen lächeln zu wenig. Mir wurde das kürzlich gleich zweimal
deutlich.
1. Bei der Kritik am Foto meines neuen Reisepasses: Ein Pfarrer sollte eigentlich freundlicher aussehen.
2. Das herzliche Lächeln eines Mädchens schreckte mich aus einer Verärgerung und mürrischen Stimmung auf. »So«, dachte ich, »könntest Du vielleicht auch anderen helfen, wenn du dir Mühe gäbst, den Leuten zu zulächeln.«

Wir Christen lächeln zu wenig oder aber nicht richtig –
jedenfalls ich. Natürlich kann man sich damit beruhigen, dass es nicht im-
mehr einen Grund zum Lächeln gibt. Ein ewiges Keep smiling, das schon
halb zur Maske wird, überzeugt sicher nicht. Aber ich fürchte, das sind nur
Ausreden, die mir mein alter Adam einredet. Der ist eben lieber mürrisch,
wenn er sich geärgert hat, als dass er jemandem zulächelt, damit der sich
freut.

Ich lese den zentralen Predigvers  1. Petr 5,7:

 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
Sorgen, Angst, Lebensgefahr, Leiden – wer kann lächeln, wenn er Angst hat?  Liebe Gemeinde.

Die Bibel kennt nicht die Lebensphilosophie »immer nur lächeln«. Sie sagt uns nicht, unser Herz hinter Masken zu verbergen. Sie will keine geheuchelte Glaubensfestigkeit und keine zur Schau getragene Demut. Sie erlaubt uns, Angst zu haben, uns von Sorgen bedrücken zu lassen, niedergeschlagen zu sein, wenn uns Schmerzen peinigen, –  ja auch Aggressionen zu haben, über die wir vielleicht nicht Herr werden können.

Das Idealbild des Menschen nach der Bibel ist nicht der abgeklärte, allem Irdischen entrückte Heilige. Auch nicht der scheinbar unerschütterliche Strahlemann. Es ist vielmehr der Mensch, der ein Herz für andere hat, weil er selbst das Leben kennt.

Doch wer kennt schon das Leben wirklich? Kennt der das Leben, dem es freundlich begegnet, den es glücklich sein lässt, der auf seiner Sonnenseite leben darf? Kennt es der andere besser, der Angst durchlebt, Unglück bewältigen muss und die Sorgen nicht abschütteln kann? Kennt der das Leben am besten, der sich geliebt weiß und in einem sinnvollen Lebensbezug steht, oder die andere, die sich als der namenlose Mensch von der Stange erfährt, den keiner beachtet und begehrt?

Das Leben kennen, das kann nie das fertige Ergebnis einer Summe von Erfahrungen sein. Wer das Leben kennt, weiß, dass er auf dem Wege ist zwischen gestern und morgen, zwischen Glück und Leid, zwischen Nähe und Trennung, zwischen Erfüllung und Leere. Wer kann da fröhlich sein und lächeln? – Keiner kennt das Morgen.

Liebe Gemeinde! Der Grund, weshalb wir Christen mehr miteinander und füreinander lächeln sollten, ist nicht, dass wir glücklicher wären als andere oder bessere Zukunftsaussichten hätten. Der Grund ist allein, dass uns jemand zulächelt.

Erinnern wir uns an das Lächeln von Menschen, die sich über eine Begegnung – warum nicht mit uns? – freuten;  Erfahrungen, die jeder von uns wohl schon gemacht hat. Gerade auch das Zusammenkommen hier im Gottesdienst kann als eine Chance, einander zu zu­lächeln, gesehen werden, die genutzt oder verpasst werden kann.
Zulächeln heißt: Ich freue mich, dass ich dich sehe; mir liegt an dir.

Wir Christen dürfen mehr füreinander und miteinander lächeln, weil uns
jemand zulächelt. Diese Wahrheit wird in unseren mitmenschlichen Erfahrungen nicht so richtig ausgeschöpft. Sie werden deshalb nicht weniger wichtig. Sie gewinnen eher an Bedeutsamkeit. In ihnen spiegelt sich die Gnade Gottes: sein freundliches Lächeln.

Das Zulächeln Gottes liegt im Handeln Jesu: er nimmt die Sorgen, Ängste und Leiden des einzelnen wichtig. Der Gottesdienst im Namen Jesu dient dazu, dass wir uns des Zulächelns Gottes vergewissern: »Ich freue mich, dass ich euch sehe, denn mir liegt an euch. « –

Die  Einladung gilt: »Alle eure Sorge werft auf ihn. «  –
Die Sorgen sollten wir durchaus benennen: persönliche Sorgen um Kinder, Familie, Gesundheit, wirtschaftliche Existenz, Lebensglück, aber auch überpersönliche Sorgen: um die Zukunft der Welt, die Weigerung, aus der Vergangenheit zu lernen, die wachsende Gefährdung des Lebens. Ich spreche von den eigenen Sorgen, aber auch von den konkreten Sorgen anderer – als Aus­druck von Solidarität.

»Die Sorgen auf Gott werfen« heißt nicht, sie abschütteln. Gemeint ist wohl:
die Sorgen und Ängste aussprechen, sich bewusst machen – nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern vielmehr in klärenden oder erleichternden Gesprächen. Wo wir, was uns bedrückt, heraus lassen und mitteilen, ereignet sich immer Befreiung.

Der Brauch, Sorgen und Hoffnungen auf Zettel zu schreiben und an Kreuze  zu heften oder in kleine Mauerritzen zu schieben, wie an der Klagemauer in Jerusalem, ist so abwegig nicht. Es erleichtert. Nicht, dass dann alles erledigt ist, die Angst beseitigt, die weitere Sorge verboten und die Anstrengung, Leben und Zukunft zu meistern, das Zeichen des Unglaubens trüge. Es ist dann ein Strahl von Hoffnung zwischen uns und unsere Sorgen gedrungen, so wie wenn uns jemand zulächelt: »Ich weiß, du schaffst es. Sei tapfer! « Das kann unsere Anstrengung verdoppeln, unsere Kraft und unser
Engagement vergrößern. Ein ermutigendes Lächeln wirkt, als lege einer
mit Hand an und helfe, die Last zu bewegen.

Deshalb sollen wir Christen mehr füreinander lächeln. Wir haben dazu
Grund. Wir tragen darin die Gewissheit weiter, dass Gott uns zulächelt und
damit sagt: »Du bist mir wichtig. Mir liegt an dir. Du bist nicht allein! Fasse
Mut! «

Amen

Infos unter:

Erstellt am: 19.09.2012 18:39 Uhr

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