Lesung: Jak 2, 14-18 / Evangelium: Mk 8, 27-35
Schwestern und Brüder!
Von Mark Twain stammt der vielsagende Satz: „Mir bereiten nicht die Bibelstellen Kopfzerbrechen, die ich nicht verstehe, sondern diejenigen, die ich sehr wohl verstanden habe.“ Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich sagen: mit dem heutigen Evangelientext geht es mir ganz ähnlich. Ich ahne zumindest, wie wichtig die Frage ist, die Jesus da seinen Freundinnen und Freunden stellt. Und wenn ich dann so über sie nachsinniere, dann überkommt mich doch ein wenig Angst, denn es kommt mir so vor, als wäre sie – so wie sie Jesus hier stellt – eine mehr als lebensnotwendige Frage; ja dass von ihr schlussendlich sogar ein Stück weit mein ganzes Christsein abhängt. Was aber, wenn ich seine Frage gar nicht richtig verstehe oder wenn ich sie falsch beantworte? Schon die erste Frage, die er stellt – „für wen halten die Leute mich?“ – kann einem gewaltiges Kopfzerbrechen bereiten, und erst recht die Antworten, die man von den Leuten so manches Mal darauf hört.
Was da an Vorstellungen über Jesus so alles in Umlauf ist, klingt mitunter wirklich recht sonderbar. Mehr als ein Drittel der deutschsprachigen Zeitgenossen sagt da z.B.: „Jesus hat vor 2000 Jahren gelebt. Aber da die Welt heute eine andere ist, hat er für mich auch nur wenig oder keine Bedeutung.“ Immerhin ein Viertel sagt: „Jesus war nur ein Mensch, aber ein ganz großartiger. Er wollte die Menschen zum Guten führen und deshalb kann er auch heute noch Vorbild sein.“ Sicherlich fallen nun die Antworten ganz anders aus, wenn wir einen Papst Benedikt oder einen Hans Küng dazu hören, einen Kardinal Schönborn oder einen Hellmut Schüller, das reaktionäre Internetportal kreuz.net oder „Wir sind Kirche“. Gar keine Frage. Aber ich habe diese Auflistung ganz bewusst so gestaltet, weil wir bei diesen Letztgenannten und sehr aktiven Amtsträgern und engagierten Christen ganz unterschiedliche Ansichten über Jesus und seine Bedeutung für das kirchliche Leben heute zu hören bekommen. Für mich ist das nicht weiter tragisch, denn wenn wir in die Vergangenheit des Christentums zurückschauen stellen wir schnell fest: Auch da wurde teilweise heftigst gestritten – z.B. um die Frage: Ist Jesus nun mehr Mensch oder schon immer mehr Gott gewesen?
Bei der ganzen Wichtigkeit einer solchen Frage, darf nun aber nicht außer Acht gelassen werden, dass mir die zweite Frage des Evangeliums doch weit mehr Kopfzerbrechen bereitet, als die erste: „Für wen hältst Du mich?“ Hier geht es nämlich nicht um die Meinung anderer, sondern da geht es jetzt um mein ganz persönliches Verhältnis zu Jesus. Er fragt mich quasi ganz direkt: „Was bedeute ich, Jesus, dir, lieber Bertram. Wie wichtig bin ich denn für dich? Vertraust du mir auch dann, wenn du nicht alles von meiner Botschaft und wenn du nicht alles in deinem Leben verstehst?“
Für mich ist diese Frage Jesu eine Einladung zum besseren Kennenlernen seiner Person und seiner Botschaft. Ja, ich möchte sogar sagen, das ganze heutige Evangelium ist wie eine Art Glaubensseminar, ein „Grundkurs des Glaubens in drei Lektionen.“ Die erste Lektion möchte ich dabei mal mit dem Stichwort umschreiben: „Bekennen“. Da ist einmal die Aussage des Petrus, der im Gegensatz zu den unterschiedlichen Meinungen, die da über Jesus im Umlauf sind, für sich und alle Jünger bekennt: Du bist der Messias. Dabei kennen wir aber auch andere Formulierungen wie „Sohn Gottes“, „Erlöser“ oder auch „für uns gestorben und auferstanden“. Obwohl wir im Credo dieses Bekenntnis immer wieder bestätigen, kommt es in meinen Augen doch nicht so sehr darauf an, genau diese Formeln zu wiederholen, als vielmehr zu zeigen, was es mir ganz persönlich bedeutet. Anhand der Bildergeschichte des Atomphysikers Werner Heisenberg kann ich es vieleicht etwas deutlicher machen. Der schreibt: „Unsere Welt gleicht einem immer größer werdenden Schiff, das schließlich zu einer solchen Stahlmasse wird, dass der Kompass, statt nach Norden, nur noch auf das eigene Schiff weist. Das ist allerdings nur dann schlimm, wenn der Kapitän nicht darum weiß. Wenn er es aber weiß, dann wird er sich an den alten Orientierungspunkten, den Sternen ausrichten – und es geht wieder.“
Wenn ich nun unser Messiasbekenntnis von dieser Bildergeschichte her ableite, dann könnte ich doch sagen: Wir brauchen nicht ständig um uns selbst zu kreisen, weil wir auch nicht der Maßstab sind, an dem alles gemessen wird. In Jesus haben wir einen festen Orientierungspunkt, einen Menschen, der uns gezeigt hat, was „wahres Menschsein“ heißt. Und: Wir glauben, dass in ihm die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes Gestalt angenommen hat und deshalb wollen wir unser Leben an seinem Verhalten und seinen Worten ausrichten und messen.
Und damit sind wir bereits bei der zweiten Lektion unseres Glaubensseminars, dem Umdenken. Petrus hat sich ja oft spontan zu Jesus bekannt und doch immer wieder einsehen müssen, dass dieser nicht dem Bild entspricht, das er – Petrus – sich von ihm gemacht hatte: Leiden und Tod passen für ihn einfach nicht zum Messias und wenn er ihn genau davor bewahren will, dann ist das doch letztendlich nur menschlich – oder nicht? Für Jesus ist es allerdings zu menschlich. Denn das harte Wort: „Weg von mir Satan“ heißt doch nichts anderes als: Dein Bekenntnis hat nur dann einen Sinn, wenn damit ein Umdenken einhergeht. Nur – ein solches Umdenken fällt auch uns oft immens schwer, weil auch wir uns ein eigenes Jesus-Bild zurechtgelegt haben, wie eine kurze Geschichte von Khalil Gilbran zeigt: „Einmal, alle hundert Jahre, trifft Jesus von Nazareth den Jesus der Christen auf den Hügeln des Libanon. Und sie sprechen lange; aber jedes Mal geht Jesus von Nazareth fort, indem er zum Jesus der Christen sagt: „Mein Freund, ich
fürchte, wir werden niemals, niemals übereinstimmen.“
Der Jesus von uns Christen ist leider oft der, der bestehende Zustände und Machtverhältnisse sanktionieren muss; der seine provozierenden Züge verloren hat; der zu einem Heiland, zu einem „holden Knaben im lockigen Haar“ gemacht worden ist. Für uns – für Sie und mich – könnte in diesem Zusammenhang umdenken heißen und meinen: Den Jesus von Nazareth wieder neu suchen und ernst nehmen. Uns klar zu machen, dass wir uns an einem orientieren, der in den Augen dieser Welt gescheitert ist; dass wir den als Herrn verehren, der der Diener aller sein wollte. Umdenken heißt auch: sich auf das Paradox eines Lebens einzulassen, das besagt: Wer schenkt, wird reicher; wer loslassen kann, erfährt Halt; wer sein Leben aufs Spiel setzt, gewinnt es.
Und die letzte Lektion lautet: Nachfolgen. Wie sagt Jesus: „Wenn einer mir nachfolgen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich.“ Für Petrus und viele der ersten Jüngerinnen und Jünger ist diese Art der Nachfolge blutige Wirklichkeit geworden. Was dieses Wort heute bedeuten kann, soll uns wieder eine kleine Geschichte zeigen, nämlich „Das Märchen vom winzig kleinen Mann“: Dieser will unbedingt größer werden. Darum fragt er das Pferd um Rat: „Du bist doch groß und stark, verrate mir dein Geheimnis!“ Und das Pferd sagt ihm: „Du musst reichlich Mais essen und viel herumrennen.“ Aber das Ergebnis: Der Mais liegt schwer im Magen, die Füße tun weh – aber kein Zentimeter mehr.“ Deshalb wendet sich der Mann an einen Ochsen. Der rät ihm: „Du musst viel Gras fressen und kräftig brüllen, dann wirst du schon sehen…!“ Aber das Ergebnis: Bauchschmerzen und Heiserkeit – doch kein Zentimeter mehr. Schließlich fragt ihn die Eule: „Warum willst du denn überhaupt größer werden?“ – „Ja, weil ich dann stärker bin, und wenn es Streit gibt, ziehe ich nicht den Kürzeren!“. Worauf die Eule sagt: „Hat dich denn schon mal jemand verhauen?“ – „Nein!“ – „Und warum willst du dann größer werden?“ _ „Weil ich dann weiter sehen kann.“ „Dann klettere doch auf einen Baum!“ Das sieht nun der kleine Mann ein. Und die Eule rät ihm zum Schluss: „Sorge dich nicht darum, dass dir die Beine wachsen, sondern lieber darum, dass dein Verstand wächst.“
Nachfolge kann nicht bedeuten, Kreuz und Leid zu suchen, es anzustreben oder gar zu verherrlichen. Das wäre ein missverstandenes und missbrauchtes Kreuz, das andererseits Menschen zu Duckmäusern und Schwächlingen degradiert. Deshalb kann für mich Kreuztragen und nachfolgen nur heißen: Sich eben nicht an der Last des Lebens und am Leid vorbei zu mogeln; die Rahmenbedingungen für mein Leben anzunehmen oder mit der Geschichte gesagt: Meine Kleinheit annehmen und etwas daraus machen.
Unser Christsein wird sich immer daran messen lassen müssen, ob dem Bekennen und Umdenken auch die Nachfolge, das Leben im Geist Jesu entspricht.
„Für wen hältst du mich?“ Wahrscheinlich muss ich diese Frage Zeit meines Lebens – also lebenslänglich – aushalten. Aber heißt Christsein nicht auch, immer mehr Christ zu werden? Wenn diese Frage Jesu auf lebenslänglich zielt, dann muss sich jede und jeder von uns auch Zeit seines Lebens fragen: Ist mein Bekenntnis zu Jesus Christus vielleicht schon zu sehr zu einer Selbstverständlichkeit geworden? Hat das Kreuz, das alle Maßstäbe auf den Kopf stellt, sein Ärgernis verloren? Und stimmen Wort und Tat in unserem Leben überein?
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Erstellt am: 17.09.2012 18:01 Uhr