PREDIGT von Pfarrer Andreas Knüpffer
Am Lesepult:
Der heutige Predigttext ist das 12. Kapitel der Apostelgeschichte. Da es eine längere Geschichte ist, möchte ich jetzt den ersten und nachher den zweiten Teil lesen und zuvor ein paar Sätze zur Einstimmung sagen: Wir befinden uns im Jahr 42 oder 43 nach Christus, 12 oder 15 Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung. Die christliche Gemeinde in Jerusalem hatte sich in den letzten Jahren ruhig und friedlich entwickeln können, war freilich im jüdischen Volk eine Minderheit geblieben. Schwierigkeiten von Seiten der römischen Regierung oder des Hohen Rats gab es nicht. Das änderte sich, als Herodes Agrippa im Jahre 41 die Herrschaft über ganz Palästina übernahm. Er war ein Enkel Herodes des Großen, den wir aus der Weihnachtsgeschichte kennen, und war in Rom erzogen worden. Dabei
konnte er gute Beziehungen zur kaiserlichen Familie anknüpfen, vor allem zu den späteren Kaisern Caligula und Claudius (dieser war sein Schulkamerad).
Agrippa führte in Rom jahrelang ein flottes Leben mit Frauengeschichten, riskanten Geschäften und unendlichen Schulden. Im Jahr 37 wurde sein Gönner Caligula Kaiser und übertrug ihm gleich die Herrschaft über das nordöstliche Palästina. Bald stellte sich heraus, dass Agrippa das Zeug zu einem guten Politiker hatte. Es gelang ihm, seinen Einfluss auszudehnen, und als Caligula im Jahr 41 ermordet wurde und Claudius Kaiser wurde, bekam er auch Judäa und Samaria dazu, so dass er König über das ganze Reich seines Großvaters war. Er war jedoch nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch erfolgreich. Er verstand es, gute Beziehungen zu den religiösen Kräften im jüdischen Volk aufzunehmen. Er änderte seine Lebensführung und lebte nach dem Gesetz. Das trug ihm die Anerkennung selbst der Pharisäer ein, die die Christen mit Misstrauen betrachteten, weil ein Teil von ihnen das Gesetz nicht hielt.
An dieser Stelle setzt unsere Geschichte ein, die einerseits sehr ernst, andererseits fast lustig ist:
Apostelgeschichte 12, 1-11
1 Der Tod des Jakobus und die Befreiung des Petrus
Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln.
2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.
3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote.
4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen.
5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.
6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis.
7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein, und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.
8 Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!
9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen.
10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel.
11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.
Gemeinsame Liedstrophe EG 361,6:
6. Hoff, o du arme Seele,
hoff und sei unverzagt!
Gott wird dich aus der Höhle,
da dich der Kummer plagt,
mit großen Gnaden rücken;
erwarte nur die Zeit,
so wirst du schon erblicken
die Sonn der schönsten Freud.
Auf der Kanzel
Liebe Gemeinde!
Hören wir nun den zweiten Teil des Predigttextes: Apg. 12, 12-24.
12 Und als Petrus sich besonnen hatte, ging er zum Haus Marias, der Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus, wo viele beieinander waren und beteten.
13 Als er aber an das Hoftor klopfte, kam eine Magd mit Namen Rhode, um zu hören, wer da wäre.
14 Und als sie die Stimme des Petrus erkannte, tat sie vor Freude das Tor nicht auf, lief hinein und verkündete, Petrus stünde vor dem Tor.
15 Sie aber sprachen zu ihr: Du bist von Sinnen. Doch sie bestand darauf, es wäre so. Da sprachen sie: Es ist sein Engel.
16 Petrus aber klopfte weiter an. Als sie nun aufmachten, sahen sie ihn und entsetzten sich.
17 Er aber winkte ihnen mit der Hand, dass sie schweigen sollten, und erzählte ihnen, wie ihn der Herr aus dem Gefängnis geführt hatte, und sprach: Verkündet dies dem Jakobus und den Brüdern. Dann ging er hinaus und zog an einen andern Ort.
18 Als es aber Tag wurde, entstand eine nicht geringe Verwirrung unter den Soldaten, was wohl mit Petrus geschehen sei.
19 Als aber Herodes ihn holen lassen wollte und ihn nicht fand, verhörte er die Wachen und ließ sie abführen. Dann zog er von Judäa hinab nach Cäsarea und blieb dort eine Zeit lang.
20 Er war aber zornig auf die Einwohner von Tyrus und Sidon. Sie aber kamen einmütig zu ihm und überredeten Blastus, den Kämmerer des Königs, und baten um Frieden, weil ihr Land seine Nahrung aus dem Land des Königs bekam.
21 Und an einem festgesetzten Tag legte Herodes das königliche Gewand an, setzte sich auf den Thron und hielt eine Rede an sie.
22 Das Volk aber rief ihm zu: Das ist Gottes Stimme und nicht die eines Menschen!
23 Alsbald schlug ihn der Engel des Herrn, weil er Gott nicht die Ehre gab. Und von Würmern zerfressen, gab er den Geist auf.
24 Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus.
Am Lesepult habe ich gesagt, diese Erzählung sei eine eher lustige Geschichte. Vielleicht ist es Ihnen beim Hören gar nicht so vorgekommen. In der Tat springt aufs erste ein bitterer Ernst ins Auge. Zum ersten Mal wird die Gemeinde in Jerusalem richtig verfolgt, und sie hat niemanden, der für sie eintritt. Der König ist mächtig und geschickt und hat nach innen und außen die besten Verbindungen. Er greift hart durch.
Jakobus, einer der drei Lieblingsjünger Jesu, wird hingerichtet. Petrus wird ins Gefängnis geworfen und Agrippa plant für die Zeit nach der Passawoche einen Schauprozess. Auch wenn man berücksichtigt, dass Petrus frei kommt und Agrippa wenig später stirbt, bleibt die Lage der Gemeinde in Jerusalem nicht gerade rosig. Sie hat zwei ihrer führenden Männer verloren. Jakobus ist tot; Petrus hat die Stadt verlassen. Die Gemeindeleitung ist an Jakobus, den Bruder Jesu übergegangen, einen sehr gesetzestreuen Judenchristen. Damit beginnen die Judenchristen an den Rand zu rücken, sowohl in ihrem eigenen Volk als auch in der Christenheit. Man konnte also die Ereignisses auch erzählen unter der Überschrift „Der Anfang vom Ende“ und schließen mit der traurigen Feststellung „Gott hat seine Gemeinde verlassen. Es ist nichts mehr.“
Aber die Geschichte wird ganz anders erzählt. Die Überschrift heißt „Gott steht zu seiner Gemeinde“, und die letzten Worte lauten: „Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus.“ (Vers 24) Die ganze spannende und dramatische Erzählung zeigt die machtvolle Gegenwart Gottes und seine absolute Überlegenheit. Das stilistische Mittel dafür ist ein überlegener Humor, der zwischen scharfem Sarkasmus und mildem Schmunzeln hin und her spielt. Sehen wir uns die Geschichte daraufhin an!
Agrippa: Der König blamiert sich. Das Gefängnis ist leer, der Schauprozess geplatzt; die Wächter müssen es büßen. Er verlegt seinen Wohnsitz nach Caesarea am Meer und führt einen Wirtschaftskrieg gegen die Hafenstädte Sidon und Tyrus. Die Beilegung wird mit großem Staatsakt gefeiert. Er trägt ein königliches Gewand aus reinem Silber. Er lässt die Verehrung als unsterblicher Gott zu und wird sofort von tödlichen Schmerzen gepackt und stirbt einen qualvollen Tod.
Petrus: Der große Apostel spielt die Rolle eines naiven Tölpels. In der Zelle schläft er, statt zu singen und zu beten. Es umgibt ihn ein überirdischer Glanz – er schläft weiter. Er bekommt einen Rippenstoß, dann Befehl auf Befehl für jeden Schritt und Handgriff. Erst in der Nebenstraße wird ihm klar, was war. Schmunzelnder Humor!
Die Hausgemeinde: Rohde, das Mädchen, lässt Petrus stehen, der weiter trommelt. Die Versammelten glauben und verstehen nichts. Eben noch haben sie für Petrus gebetet aber sie rechnen nicht damit, dass Gott sie erhört. Alles sehr verständlich, aber doch reichlich sonderbar fast komisch.
Sicher: wir stellen kritisch die Frage nach der Historizität, der historischen Echtheit.
War das alles wirklich so? Sollen wir das wortwörtlich so annehmen und glauben, wie es berichtet wird oder können wir einfach alles wegwischen und eine Legende oder vielleicht sogar ein frommes Märchen daraus machen?
Liebe Gemeinde!
Bitte keine Abwertung der Geschichte! Indem die Gemeinde sie so und nicht anders erzählt, bekennt sie, dass es nicht die Geschicklichkeit des Petrus war oder ein glücklicher Zufall oder Beziehungen oder ihr fester Glaube oder Einsatz, sondern allein die Überlegenheit und Hilfe Gottes, der seine Gemeinde nicht im Stich lässt. –
Nicht nur die frühe christliche Gemeinde, auch wir brauchen diese Geschichte. Von ihr fällt Licht auch auf unser Leben. Sie zeichnet auch unser Leben ein in das große Befreiungswerk Gottes: Ja, Ein Wunder! –
Gott, der für sein Volk bei der Flucht aus Ägypten das Meer geteilt hat, wird auch für uns einen Weg bereiten. Er, der dem Petrus einen Engel geschickt hat, wird auch uns in die Freiheit führen. Er, von dem Dietrich Bonhoeffer als Gefangener sagen konnte:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Amen.
Anhang: Josephus, (37-100 n. Chr.) jüdischer Geschichtsschreiber, schreibt über den Tod von Agrippa 1. (Jüdische Altertümer 19, 343-350):
Das 3. Jahr seiner Herrschaft über ganz Judäa war abgelaufen. Er begab sich in die Stadt Caesarea… dort veranstaltete er Schauspiele zu Ehren des Kaisers… dazu strömten in großer Zahl die zusammen, die in der Provinz in Amt und Würden standen. Am zweiten Tag der Schauspiele begab sich Agrippa bei Tagesanbruch ins Theater. Er trug ein Gewand, das ganz aus Silber gefertigt war, ein wunderbares Gewebe. Als die ersten Strahlen der Sonne darauf fielen, leuchtete das Silber auf und strahlte wunderbar, so dass es durch sein erschreckendes Funkeln allen, die es sahen, Schauer erregte. Sogleich erhoben die Schmeichler von allen Seiten ihr Geschrei und riefen ihn als Gott an und sprachen: „Sei gnädig! Wenn wir dich bisher als Menschen fürchteten – von jetzt an bekennen wir dich als überirdisches Wesen.“ Der König gebot ihnen nicht Einhalt und wies ihre gotteslästerliche Schmeichelei nicht zurück. Doch als er gleich darauf nach oben blickte, sah er die Eule über seinem Kopf auf einem Seil sitzen. Er begriff sofort, dass sein einstiger Glücksbote zum Unglücks-boten geworden war, und Gram erfüllte sein Herz. Starke Leibschmerzen stellten sich ein, die sofort heftig wurden. Da sprang er auf und sagte zu seinen Freunden: „Ich, euer Gott, muss jetzt das Leben lassen. Augenblicklich überführt das Schicksal eure Lügen von vorhin. Unsterblich nanntet ihr mich – schon werde ich zum Tod geführt“.
Nach fünf Tagen wurde er von Leibschmerzen zerrissen; dann starb er.
(Zitiert bei H. Conzelmann, Geschichte des Urchristentum. Göttingen 1969, S. 143)
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Erstellt am: 25.09.2012 17:46 Uhr
