Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis 2011

 

23.10.11 Lesung: Ex 22, 20-26 / Evangelium: Mt 22, 34-40

Evangelientext:

34 Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie (bei ihm) zusammen. 35 Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: 36 Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? 37 Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. 38 Das ist das wichtigste und erste Gebot. 39 Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. 40 An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.

Schwestern und Brüder!

Kennen Sie ein „Logo“ oder auch ein Zeichen, an dem man uns Christen erkennen kann? Ich merke schon, Sie brauchen da gar nicht allzu lange überlegen – wie kann man schließlich so „blöd“ fragen – : Es ist für Sie das Kreuz! Hab ich recht? In unseren Kirchen, häufig auch zu Hause in unseren Wohnungen oder um den Hals hängend getragen – überall das Kreuz; daran also muss man einen Christen erkennen.

Nur: ich hab da so meine Zweifel; denn wenn ich auf Jesus schaue, dann muss ich sagen, hat er doch ein ganz anderes Erkennungszeichen für die Menschen im Blick gehabt, die seinem Wort vertrauen und die ihm nachfolgen. Es ist: die Liebe! Wie hat er zu seinen Jüngern an anderer Stelle gesagt: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Daran sollen eure Mitmenschen erkennen, dass ihr meine Freundinnen und Freunde seid.“ Also nicht an einem Zeichen wie dem Kreuz, nicht an einem bestimmten Glaubensbekenntnis, sondern an einer grundlegenden Gefühlshaltung wie der Liebe sollen wir als Christen erkannt werden.

Wenn wir jetzt allerdings auf das heute Evangelium schauen, dann steckt da noch mehr drin als eine Haltung oder ein Erkennungszeichen – nein, die Liebe ist auch ein Gebot Gottes! Ein Gebot, das selbst den Pharisäern bestens bekannt war. Deshalb ist der, der Jesus hier fragt, auch mit dessen Antwort zufrieden. Nur: Als Jesus dann tatsächlich begann, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all seinen Kräften zu lieben, da begehrten die Frommen dann doch auf. Als er am Sabbat zu heilen begann, als er mit den Blutsaugern von Zöllnern und mit offensichtlichen Sündern Feste feierte, um sie wieder auf den rechten Weg zu bringen; als er sich von einer Dirne, in deren Überschwang von Reue und Zuneigung zu ihm, seine Füße streicheln und küssen ließ – als all dies passierte, da ging dies den frommen Herren dann aber doch zu weit. Dieses Verhalten war für sie ein Ärgernis – und so wurde Jesus zum Stein, an dem sie ganz gewaltig Anstoß nahmen.

Was aber ist nun das Maß der Liebe, welches Jesus gepredigt hat? Steckt es in dem Satz, welches ein Kinderbuch suggeriert: „Ich hab dich lieb von hier bis zum Mond?“ Diese Aussage meint ja nichts anderes, als dass Liebe maßlos ist. Aber können wir Menschen wirklich maßlos lieben? Und wenn es sich um ein Gebot handelt, dann müssen wir doch fragen: Kann man Liebe einfordern? Kann man Liebe verschreiben, quasi auf Bestellung oder Rezept? – Wie also können wir das Gebot Jesu aus dem Evangelium verstehen? Geht es uns da manchmal eher so wie den Pharisäern, dass wir stirnrunzelnd dastehen und überhaupt nicht nachvollziehen können, was Jesus da tut – oder finden wir uns in unserem Lieben eher in denen wieder, die ihr Leben dank dieses Gebots total umgekrempelt haben? Vielleicht kann uns da ja etwas ganz banales ein wenig auf die Sprünge helfen:

Den meisten von Ihnen ist die Sendung „Was bin ich?“ mit Robert Lembke noch in recht guter Erinnerung. Jeder geladene Gast musste da eine ganz typische Handbewegung machen, der charakteristisch für seinen Beruf war. Und nachdem die Frage nach dem „Schweinderl“ geklärt war, machte sich das Rateteam daran, den Beruf des Gastes zu erkennen. Ich will jetzt hier nicht „heiteres Berufe raten“ spielen, aber mich treibt die Frage um, welche Handbewegung würden denn wir Christen machen, wenn man uns fragen würde, was für unsere Berufung ganz typisch sei?

Dass eine solche Handbewegung wohl die im Gebot angesprochene Liebe zum Ausdruck bringen müsste, darüber besteht wohl keinerlei Zweifel. Aber ich glaube schon, dass es – selbst unter uns hier – wohl Diskussionen darüber gäbe, welche denn nun die Richtigere wäre: Ist es die Handbewegung hin zum Nächsten, die z.B. die Nächstenliebe ausdrückt im Suchen nach der Hand des Mitmenschen? Oder ist es eher die Handbewegung, die das Falten der Hände zeigt und somit die Frömmigkeit, die Gottesliebe zum Ausdruck bringt? Welches ist die Richtige? Welche entspricht am ehesten dem, was Jesus mit diesem Gebot aussagen wollte?

Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten und nicht selten geraten wir als Christen untereinander in Diskussionen darüber, wie wir denn nun dieses Liebesgebot am besten umsetzen können. Dabei gewinnt man dann oft den Eindruck, als gäbe es entweder nur den weltlosen Einsatz für Gott oder nur den gottlosen Einsatz für den Menschen. Wie ich darauf komme? Lassen Sie mich das ein wenig erläutern:

Auf der einen Seite gibt es in der heutigen Kirche nicht wenige Christen, die die Gottesliebe ganz energisch betonen, auch wenn sie auf Kosten der Nächstenliebe geht. Gott wird dann gleichsam hinter dem Rücken der Menschen geliebt bzw. der Mitmensch wird als „Material“ für die Pflege der eigenen Frömmigkeit gebraucht oder sagen wir ruhig: missbraucht. Man liebt den Mitmenschen nicht um seinetwillen, und man hilft ihm auch nicht deshalb, weil er in Not ist, sondern man liebt und hilft ihm, um gegenüber Gott seine religiöse Pflicht zu erfüllen und um so ein gutes Werk auf das krisensichere Konto der Gnade Gottes buchen zu können. Andererseits gibt es aber in unserer Kirche auch Christen, die die Nächstenliebe zum absoluten und nicht mehr zu hinterfragenden „Dogma“ erklären und die die Gottesliebe zu einem luxuriösen Anhängsel eines weltlichen Humanismus verkommen lassen.

Nur – beide Standpunkte entsprechen nicht dem, was Jesus mit seinem Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe meint. Für ihn gehören beide untrennbar zusammen – wie Tag und Nacht. Die Nächstenliebe darf nicht auf Kosten der Gottesliebe gehen und die Gottesliebe nicht auf Kosten der Nächstenliebe. Vielmehr gilt durch das Evangelium: Die Gottesliebe ist Quelle und Höhepunkt der Nächstenliebe; und die Nächstenliebe ist wiederum ein Zeichen und Werkzeug für die Liebe zu Gott. Nur wer tief in Gott verwurzelt ist, der kann sich auch kraftvoll und ganz für seine Mitmenschen einsetzen – denn die Gottesliebe bewährt sich ganz konkret in der Liebe zum Nächsten – und: zu sich selbst. Es ist ja eine dreifache Spannung, die es im christlichen Glauben zu betrachten gilt, auch wenn die Selbstliebe über Jahrhunderte hinweg in der Kirche eher stiefmütterlich behandelt bzw. gänzlich verschwiegen worden ist. Aber die Selbstliebe ist die Voraussetzung für eine wahre und wahrhafte Nächstenliebe.

Dies leuchtet spätestens dann ein, wenn man die Probe aufs Exempel macht: Wie bitte soll ein Mensch, der sich selbst nicht lieben kann, seinen Nächsten lieben können? Wird ein Mensch, der voll Wut gegen sich selbst ist, sich nicht auch aggressiv gegen seine Umwelt verhalten? Wie kann ein Mensch, der sich selbst nicht leiden mag, seinen Nächsten ertragen? Oder muss ein Mensch, der sich selbst verabscheut, dies nicht auch gegen seine Mitmenschen empfinden?

Wohlgemerkt, diese Selbstliebe hat nichts mit Egoismus zu tun. Denn der Egoismus entspringt ja immer der Angst, zu kurz zu kommen. Selbstliebe aber ist das Wissen darum, dass ich selbst zuallererst von Gott geliebt bin. Was dies konkret bedeutet, das kann mehr als viele Worte ein ganz schlichtes Zeugnis deutlich machen – genauer gesagt, das Lebenszeugnis des evangelischen Theologen Jürgen Moltmann aus Tübingen. Er beschreibt sein Schicksal im Elend einer dreckigen Baracke eines Gefangenenlagers im Jahre 1945 so:

Ich verlor alle Hoffnung, die mein Leben bis dahin erfüllt hatte. Ich wurde todtraurig und krank. Ich stand nicht mehr auf und wollte auch nicht mehr leben. Doch dann geschah das Wunder, dass ich durch die Hilfe einiger Freunde die Gewissheit gewann: Es gibt einen, der dich liebt und der an dich glaubt. Da ist einer, der wartet auf dich und dem bist du unendlich wichtig. Steh auf und geh ihm entgegen. In dem Augenblick, da ich spürte, dass mich einer liebt und mich in allem Elend nicht preisgibt, da kroch ich aus meiner verlorenen Ecke und begann, mich wieder selbst zu lieben. Mein Leben – auch das hinter dem Stacheldraht – wurde mir wieder wichtig. Was ich damals gelernt habe? Ich habe erstmals verstanden was es heißt: Gott liebt uns, darum sollen wir uns selbst lieben. Gott liebt jeden von uns so, wie er ist, nicht anders, sondern so, wie er ist, und darum können wir auch das lieben, was Gott liebt – nämlich uns selbst. Wer sich nach dieser Erkenntnis noch immer verachtet, der verachtet in Wahrheit nicht sich selbst, sondern Gott.“

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer die Einsicht: Ohne die Gewissheit von Gott geliebt zu sein, artet die Nächstenliebe schnell in einen mühsamen moralischen Krampf aus. Denn für andere da sein, das kann man nur dann von Herzen tun, wenn man zunächst einen anderen für sich da sein lässt – Gott selbst. Nur wer sich von ihm heilsam entlasten lässt von der quälenden Sorge um sich selbst, kann sich dann auch leidenschaftlich belasten mit den Sorgen anderer Menschen, die ja auch immer die Sorgen Gottes sind. Amen.

Infos unter:

Erstellt am: 23.10.2011 17:33 Uhr

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