Predigt zum 2. Adventsonntag 2011

L I: Jes 40, 1-5.9-11 / Ev.: Mk 1, 1-8
Schwestern und Brüder!
Der bekannte Dichter Erich Fried hat 1981 unter dem Titel „Die drei Steine“ folgendes Gedicht niedergeschrieben: „Wie lange kann ich noch leben, wenn mir die Hoffnung verlorengeht?“, frage ich die drei Steine. Der erste Stein sagt mir: „So viel Minuten du deinen Atem anhalten kannst unter Wasser, noch so viele Jahre.“ Der zweite Stein sagt: „Ohne Hoffnung kannst du noch leben – solange du ohne Hoffnung noch leben willst.“ Der dritte Stein lacht: „Das hängt davon ab, was du noch Leben nennst, wenn deine Hoffnung tot ist.“
Ein mehr als nachdenkliches Gedicht, das uns in Erinnerung ruft, dass die Hoffnung zum Leben und zum Überleben genauso notwendig ist, wie die Luft zum Atmen. Auf Dauer kann eben niemand Leben, ohne dass er oder sie hoffen wollte. Oder vielleicht muss ich eher sagen: Auf Dauer leben will wohl keiner, der nicht auch hoffen kann. Hoffnung und Leben sind im Grunde eins. Dass der Dichter da viel Wahres sagt, Wort für Wort, das können wir wahrscheinlich nicht nur aus unseren eigenen Empfindungen, sondern auch aus unserer eigenen Wahrnehmung unterstreichen und bejahen. Also können wir festhalten: Ohne Hoffnung kein Leben. Nun mag das ja schon stimmen. Aber die Frage bleibt doch: Haben wir in unserem Leben auch wirklich einen Grund zu hoffen?
Wenn wir den heutigen biblischen Texten Glauben schenken und ihnen vertrauen, dann dürfen wir eindeutig sagen: Ja! Denn das Evangelium Jesu Christi ist doch von Anfang an nichts anderes als die Versicherung oder auch die Zusicherung an uns: Ihr habt einen Grund zur Hoffnung. Mehr noch: Nicht, was vielleicht einmal sein wird und was wir machen könnten, sagt uns das Evangelium, sondern es spricht klipp und klar aus, was wir zu erwarten haben, wenn wir uns wirklich darauf einlassen. Deshalb fängt auch das älteste Evangelium, also das aus der Feder des Evangelisten Markus, einfach mit dem Wort „Anfang“ an – „Anfang des Evangeliums – der frohen Botschaft – von Jesus Christus, dem Sohn Gottes…“
Bleibt für uns jetzt die Frage: Worin besteht denn der Anfang der Guten oder auch der Frohen Nachricht, die unserer Hoffnung einen festen Grund bieten soll? Es ist für uns heutzutage vielleicht schwer nachvollziehbar oder auch verwirrend, aber damals hat es jeden gläubigen Juden tief in seiner Seele getroffen, dass der Anfang dieses Evangeliums in ein Wort aus dem Alten Testament gekleidet ist: „Es begann, wie bei dem Propheten Jesaja geschrieben steht: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen. Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!“ Ich habe mir lange überlegt, wie wir uns das ein klein wenig zu eigen machen können, was das Evangelium hier bei seinen Hörerinnen und Hörern damals bewirkt hat. Und bei all den Überlegungen ist mir ein Wechselrahmen eingefallen. Ja, sie haben richtig gehört – ein Wechselrahmen.
Was ein solcher Wechselrahmen ist, das wissen wir alle. Er ist vor allem verdammt praktisch. Wenn man sich an einem Bild satt gesehen hat, dann kann man das problemlos aus dem Rahmen nehmen und mal ganz geschwind durch ein neues ersetzen. Der Rahmen bleibt – doch die Bilder wechseln. Genau umgekehrt ist es aber mit den vielen Bildern aus dem Buch des Propheten Jesaja. Man kann sich an ihnen eigentlich nie satt sehen. Sie entfalten ihre Schönheit in den verschiedensten Rahmen, quasi unter ständig wechselnden „Rahmenbedingungen“. Hier also bleiben die Bilder, aber der Rahmen wechselt.
Genau zu dieser Art von zeitlosen Bildern gehört nun jenes vom Straßenbau in der Wüste. Es besagt: Gott will mit seinem Heil bei uns ankommen. Er will uns befreien aus den Tälern der Angst und von den Bergen von Schuld. Er will das Krumme und das Verkrümmte in unserem Leben beseitigen und uns wieder Geradlinigkeit und Klarheit schenken. Wir müssen ihn nur hereinlassen in unsere ganz persönlichen Steppen und Wüsten. Wir müssen ihm nur eine Straße bauen, auf der er an unser und in unser manchmal so dürres und auch oberflächliches Leben zukommen und ankommen kann.
Genau dieses Bild der Hoffnung hat nun in den verschiedensten Rahmen seine ganze Leuchtkraft entfaltet. Die Zeit des babylonischen Exils, also die Zeit von 597 bis 538 v. Chr. – das ist quasi der Originalrahmen dieses Bildes: Die Oberschicht Israels sitzt in Babylon, der Tempel in Jerusalem ist zerstört, im Volk haben sich Resignation und Pessimismus ausgebreitet. Ein unbekannter Prophet, dessen Botschaft später in das Buch des Propheten Jesaja aufgenommen und integriert wurde, will die Hoffnung im Volk wachhalten und kündigt das Ende der Demütigung an. Er schreibt – und ich versuch das mal mit unseren Worten heute zu sagen: „Gott führt uns heim, wie er uns einst aus Ägypten ehrausgeführt hat. Die Berge – Symbole der Macht und der Unterdrückung – werden sich senken und die Täler – Zeichen der Ohnmacht und der Verzweiflung – werden sich heben. Gott befreit uns, wenn wir es zulassen, dass er uns entgegenkommt. Er befreit uns aus allem, was uns niederdrückt, was uns knechtet und was unmenschlich ist.“
Diese Verheißung des Propheten hat sich erfüllt. Die Verbannten durften in ihre Heimat zurückkehren, doch das Hoffnungspotential unseres Bildes war damit noch lange nicht erschöpft. Denn einige Jahrhunderte später, da entdecken die ersten Christen genau diese aufmunternde Vision des Jesaja-buches wieder und sehen sie eben im Leben, im Tod und in der Auferstehung Jesu neu erfüllt und bestätigt. Sie haben doch erlebt und erfahren, wie sehr die Römer Israel unterdrückten; sie haben erlebt und erfahren, wie sehnsüchtig die Menschen auf den Messias warteten; sie haben erlebt und erfahren, wie Johannes der Täufer aufgetreten ist und sie haben nicht zuletzt erlebt und erfahren, dass im Menschen Jesus von Nazareth der befreiende Gott wie nie zuvor in dieser, seiner Welt angekommen ist. Auf genau diesem Hintergrund aber, kommt nun das alte Bild zu einer völlig neuen Geltung: Johannes der Täufer ist derjenige, der dem Messias Gottes den Weg bereitet und andere auffordert, durch ihre Umkehr an diesem Weg mit zu bauen. Und in den Worten und Taten Jesu wird wie sonst nirgends deutlich, dass Gott die Berge der Schuld und die unüberwindbar scheinenden Hindernisse zwischen den Menschen abtragen will; ja, dass er die Täler des Ausgestoßen-Seins und der Mutlosigkeit beseitigen kann. Deshalb heißt und meint Evangelium: Die gute Nachricht darüber, dass es ein Freikommen gibt von allem, was den Menschen hinabbeugt – damals und heute.
So gesehen hat nun aber – selbst nach mehr als zweieinhalbtausend Jahren – dieses farbenfrohe Bild nichts, aber auch gar nichts von seiner Strahlkraft verloren. Martin Luther King zum Beispiel hat es in den Rahmen seines gewaltlosen Kampfes gegen die Rassendiskriminierung gestellt und dann in seiner berühmten Rede „I have a dream“ vor über einer Viertelmillion friedlicher Demonstranten in Washington aufgegriffen: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können… Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Berg und Hügel erniedrigt wird… Mit diesem Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen…“
So wünsche ich mir, dass auch die Kirche unserer Tage, dieses Bild aus Jesaja zu ihrem Leitbild erwählt; dass sie ihr ganzes Tun als „Straßenbau“ begreift, damit wir Menschen die Wege Gottes in diese Welt und zu uns erkennen; dass sie in den Wüsten und Steppen der Menschen Wege freischaufelt für Gottes bewegende Kraft, die jeden einzelnen Menschen dazu befähigt, umzukehren – sich zu erneuern – all das alte, schwache und schuldbeladene so abzuwaschen, wie die Taufe des Johannes die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes rein gewaschen hat – und ich wünsche mir auch, dass unsere Kirche all die Hindernisse beseitigt, die uns allen den Blick auf die Spuren Gottes in ihr selbst und in unserem Leben versperren. Könnte Advent für Sie und mich nicht heißen, dass wir als christliche Gemeinde quasi wie ein „Bautrupp“ sind, sozusagen Gottes überzeugte und engagierte Straßenarbeiter in dieser Welt, damit ER zu allen findet, die seine Nähe und Hilfe, seine Zuwendung und Barmherzigkeit ganz dringend brauchen?
Wenn wir dieser Erkenntnis zustimmen, dann bleibt mir jetzt am Schluss nur, uns allen einen geschärften Blick für die Baustellen und Straßenschäden zu wünschen, die wir in unserem eigenen Leben wahrnehmen, sowie die, die Gott uns in den nächsten Tagen ganz bewusst zeigt. Amen.

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Erstellt am: 05.12.2011 18:35 Uhr

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