Predigt zum 2. Sonntag im Jahreskreis 2012 (15.01.)

L I: 1 Sam 3, 3b-10.19 / Ev.: Joh 1, 35-42
Schwestern und Brüder!
Ich glaube, wir allen kennen noch den Ohrwurm aus den siebziger Jahren mit dem Titel: „Mit 17 hat man noch Träume…“. Allerdings könnte die Botschaft dieses Liedes uns nun glauben lassen, dass Träume wirklich nur etwas für junge Menschen sind – Menschen eben, denen Ältere oft nachsagen, dass sie eben die Realität noch nicht so richtig einschätzen könnten. Allerdings hoffe ich nun doch, dass wir alle hier – ob nun jünger oder älter – noch ab und an ganz gerne träumen. Oder haben wir vielleicht gerne geträumt, sind aber davon abgekommen, weil da zu viele Träume in unserem Leben zerplatzt sind und viel zu oft eingetreten ist, was man landläufig unter dem Sprichwort versteht: „Träume sind Schäume“ versteht?

Dabei gibt es ja nun Träume und Wünsche, die durchaus erfüllbar sind: z.B. den Traum vom eigenen Haus, vom Traumberuf oder den Traum von der Partnerin oder dem Partner für’s Leben. Sicherlich gibt es auch Träume, das will ich gar nicht in Abrede stellen, die wirklich fast unerfüllbar scheinen: ich denke da z.B. an den Traum vom großen Lottogewinn oder auch den Traum, tagtäglich ein komplett sorgenfreies Leben führen zu können. Genau genommen ist es aber für mich in erster Linie gar nicht so wichtig, wie realistisch oder auch utopisch nun so ein Traum nun sein mag. Vielmehr frage ich mich, ob wir – Sie und ich – überhaupt noch zu träumen wagen? Ob wir überhaupt noch in der Lage sind, z.B. an eine gute Zukunft zu glauben – für uns selbst, für unsere Kinder oder auch für unsere Kirche! Ist es wirklich so, dass wir hier noch zu träumen wagen? Oder sind wir zwischenzeitlich so knallharte Realisten geworden, dass wir nur noch die objektiv greifbaren Kriterien und Tatsachen sehen und darüber eben die Verwirklichung von Träumen gänzlich ad acta gelegt haben?
Die heutige Lesung hat ja nun von einer ganz besonderen Art von Traum erzählt – sozusagen von einer Vision. In einer solchen Vision kann ein Mensch etwas sehen, das Wirklichkeit werden kann, während andere dies nicht wahrnehmen, geschweige denn sehen können. Nur wenige Verse vor dem heute gehörten Abschnitt heißt es in diesem ersten Buch Samuel: „Visionen waren damals nicht häufig.“ Und in der Tat, damals sahen, das belegen uns auch außerbiblische Quellen, nur wenige Menschen wirklich verheißungsvolle Perspektiven für das Volk Israel. Genau in einer solch scheinbar aussichtslosen Situation, hört nun ausgerechnet ein Kind namens Samuel die Stimme Gottes. Im ersten Moment ist es gänzlich verwirrt, weil es diese Stimme nicht kennt und sie deshalb auch nicht einordnen kann. Dazu braucht Samuel die Hilfe eines älteren und erfahrenen Mannes, in diesem Fall die Hilfe des Priesters Eli. Doch selbst dieser benötigt drei solcher Aufrufe, bis er endlich versteht was Sache ist und er dem jungen Samuel zur Deutung seines Traumes verhelfen kann.
Diese Geschichte, die sich vor rund 3000 Jahren zugetragen hat, sie kann auch vieles aus der heutigen Situation unserer Kirche widerspiegeln. Auch heute scheinen Visionen wirklich selten zu sein. Sicherlich: in unseren Ordinariaten und auch den Kirchengemeinden, da werden eifrig Sitzungen abgehalten, wie man der heutigen Situation begegnen kann – dem Mangel an Priester- und Ordensberufen, dem Schwund an Vertrauen in die Kirche und ihre Vertreter insgesamt; dem fortschreitenden Auszug von Mitgliedern oder auch Gottesdienstbesuchern in unseren Gemeinden; dem fehlenden Durch-bruch in der Ökumene oder anderen strittigen Fragen, wie sie ja auch beim Deutschlandbesuch des Papstes zur Sprache kamen. Doch bislang hat man den Eindruck, als dass all diese Sitzungen und die darin gemachten Überlegungen oder auch Vorschläge nicht, aber auch gar nicht fruchten. Selbst der groß angekündigte Dialogprozess läuft eher wortkarg ab und löst
wenig Begeisterung bei den Beteiligten aus.
Trotzdem bin und bleib ich der felsenfesten Überzeugung, dass Gottes Anruf an seine Kirche, an Sie und an mich heute genauso laut oder leise ergeht, wie dies zur Zeit des Samuel auch der Fall war. Was wir brauchen, das sind einzig und allein offene Ohren und Bereitschaft, das Wort Gottes zu verstehen – und: wir brauchen Leute wie den Priester Eli, die uns die Zeichen deuten und erklären können, die wir nicht verstehen oder die wir uns nicht erklären können. Wenn dabei dann von Visionen die Rede ist, dann sind damit nicht kleine oder kleinliche Ausbesserungen oder Restaurierungen gemeint, sondern dann sollten damit schon grundlegende Veränderungen und bislang ungeahnte Möglichkeiten für unsere Kirche und ihr Leben in den Blick genommen werden. Die großen Träume, die uns oft so weit weg oder gar völlig absurd erscheinen, sie sind es, die hinter den Visionen von heute stehen sollten.
So müssen wir uns bei all diesen Überlegungen fragen: Bin ich, sind wir offen für solche Visionen? Habe ich in meinem Leben, im Leben meiner Kirche und Gemeinde die Ausdauer eines Samuel? Ist mir, ist uns jemand an die Seite gestellt, der uns bei der Deutung unserer Visionen helfen kann? Bis hin zur ganz banalen Frage: Schlafen wir überhaupt noch oder rotieren wir vor lauter Geschäftigkeit nur noch um uns selbst? Wobei der Schlaf hier nicht negativ gemeint ist, denn erst im Schlaf sind ja Träume möglich. Wir müssen dann nur bereit sein, auch wieder aufzuwachen, aufzustehen und uns unsere Träume bewusst werden und sie einander mitteilen. Scheuen wir uns nicht davor, sondern setzen wir uns mit ihnen auseinander und legen wir sie vor allem nicht vorschnell als Spinnerei einfach zur Seite.
Ich bin mir sicher, dass wenn wir uns so mit unseren Träumen und Visionen
auseinandersetzen, Gott auch heute zu uns spricht. Und dabei macht die
Lesung uns klipp und klar deutlich, dass eben nicht nur Geistliche oder theologische Spezialisten von Gott angesprochen werden, sondern jede und jeder von uns kann seine Stimme vernehmen, kann von Gott angesprochen werden, ja muss damit rechnen, dass Gott sich ihr oder ihm persönlich mitteilt. Und Gott will keine Notprogramme für mein persönliches Leben, noch für das Leben seiner Kirche. Er will auch keinen ausgetüftelten Plan für all die Jahre meines Lebens, noch will er einen fein ausgetüftelten Stellen- oder auch Seelsorgeeinheitenplan für seine Kirche. Das alles legt nur fest und steckt Positionen ab, die nur schwerlich mit Visionen zu durchbrechen sind. Deshalb will Gott, dass wir stets offen sind für seinen Anruf an uns, für seine Ideen und seine Vorstellungen von Leben und Kirche.
In Gott haben wir alle, daran glaube ich fest, eine Zukunft sowohl als Einzelne, wie auch als Gemeinschaft der Kirche. Wir müssen nur die Zeichen der Zeit erkennen und den Mitteilungen Gottes an uns Glauben schenken. Dabei zu sagen oder zu behaupten, wo Gott sich offenbart oder auch wie, das wäre vermessen. Aber vielleicht ist es ja gerade dann der Fall, wenn wir überhaupt nicht mit ihm rechnen. Wichtig ist doch einzig und allein unseres Bereitschaft, uns auf ihn einzulassen. Wie fragten die Jünger im Evangelium: „Wo wohnst du?“ Und Jesus antwortete ihnen: „Kommt und seht!“ Oder wie ein altes jüdisches Sprichwort sagt: „Gott wohnt dort, wo man ihn einlässt!“ Öffnen wir uns in diesem Sinne für ihn – und wagen wir, auch am helllichten Tage einfach zu träumen. Vielleicht steckt ja auch hinter dem folgenden Traum eine große Vision:
Worte des Herrn waren selten zu der Zeit und Visionen nicht gerade zahlreich. Die Zahl der Priester wurde immer weniger und erschöpft von den vielen Aufgaben, konnten sie vieles nicht mehr tun. Das Licht des Glaubens aber war noch nicht erloschen, und die Getauften schliefen im Vorraum der Kirche. Da rief der Herr die Getauften und sie antworteten: Hier sind wir. Die Frauen und Männer liefen zu ihren Bischöfen und sagten: Hier sind wir, ihr habt uns gerufen. Doch die Antwort war: Wir haben euch nicht gerufen, geht wieder schlafen. Da rief der Herr noch einmal: Ihr Getauften! Die Laien standen auf und sagten den Bischöfen: Ihr habt uns gerufen. Aber die Antwort war wieder: Wir haben euch nicht gerufen; geht wieder schlafen. Die Laien erkannten noch nicht, dass Gott es war, der sie rief.
Da rief der Herr die Laien zum dritten Mal. Sie standen auf, gingen zu den Bischöfen und sagten: Hier sind wir, ihr habt uns gerufen. Da spürten diese, dass Gott die Laien gerufen hatte. Sie sagten zu ihnen: Geht und legt euch schlafen. Aber wenn Gott euch wieder ruft, dann antwortet: Rede, Herr, deine Töchter und Söhne hören. Sie legten sich also schlafen und als Gott sie wie die vorigen Male rief, da antworteten die Laien: Rede, Herr, deine Töchter und Söhne hören. Da sprach der Herr zu ihnen: Die Stunde ist gekommen, vom Schlaf aufzustehen. Ich sende euch, damit ihr meine Botschaft den Menschen mitteilt. Bringt Frieden in die Herzen der Menschen und feiert miteinander den Glauben an mich. Lebt das von meinem Reich und meiner Botschaft, was ihr davon verstanden habt und habt dabei keine Angst, denn ich bin bei euch.
Da erhoben sich die Laien und berichteten alles den Bischöfen. Darauf sprach das Konzil: Der Herr tut, was ihm gefällt. So wollen wir uns dem Antrieb des Hl. Geistes anvertrauen und entschlossen handeln. Und so ließ Gott sein Wort in Laien und Geistlichen immer wieder neu Mensch werden. Amen.

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Erstellt am: 15.01.2012 23:37 Uhr

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