Lesung: Gen 9, 8-15 / Evangelium: Mk 1, 12-15
Schwestern und Brüder!
Kleinigkeiten sind Dinge, die man ganz gerne übersieht. Dabei wissen wir ja nur allzu genau, dass nicht nur „der Teufel“ im Detail – also oft in Kleinigkeiten versteckt ist – sondern auch der besagte Schlüssel, mit dem man einen Text besser verstehen kann. Ähnlich ist das mit den Zeilen aus dem heutigen Markus-Evangelium. Gerade weil er die Versuchungsgeschichte Jesu sehr viel knapper schildert als seine Kollegen Matthäus und Lukas, läuft der Leser bei ihm Gefahr, die wenigen Worte, die er über die Versuchung Jesu in der Wüste verliert, nur all zu leicht zu überlesen.
Deshalb möchte ich unseren Blick zunächst einmal auf die Aussageabsicht des Matthäus und des Lukas lenken. Was möchten sie mit ihrer Schilderung der „Versuchung Jesu“ deutlich machen? Fakt ist, dass Jesus vom Geist Gottes die Aufgabe übertragen bekam, das Reich Gottes zu verkündigen. Nur stellt sich ihm jetzt die Frage, WIE er diese Aufgabe verwirklichen soll.
Die erste Möglichkeit, die auch viele Staatsmänner und Herrscher der Weltgeschichte gewählt haben, ist die: „Du kannst den Leuten einen vollen Bauch und eine gesicherte Existenz verschaffen. Dann laufen sie dir nach und du gewinnst sie für dich.“ – Das Bild dafür entdecken wir im Steine zu Brot verwandeln. Auch die zweite Methode wurde schon immer angewandt: „Mit Sensationen und großartigem Auftreten kannst du Macht über die Her-zen der Menschen gewinnen. Nütze diesen Einfluss aus, um dir Reichtum und Ansehen zu verschaffen!“ – Auch dafür gibt es ein Bild, nämlich: „unversehrt von der hohen Tempelzinne herabzuspringen“.
Und auch die dritte Art und Weise, die Menschen in den Griff zu bekommen, wurde und wird zum Leidwesen der Menschheit besonders gern praktiziert: „Die Welt wird nicht durch Liebe und Opfer erlöst, sondern nur durch eine starke, brutale Hand. Frei nach dem Motto: Strebe nach Macht, halt den Daumen drauf und setz all deine Pläne durch.“ – Auch hierfür gibt es bei Matthäus und Lukas ein Bild – nämlich das des Niederfallens um das Böse anzubeten.
Nun wissen wir, dass Jesus all diese Methoden abgelehnt hat. Für ihn ist klar, dass Liebe sich eben nicht mit Blendwerk, Zwang und Gewalt verträgt. Deshalb wählt er, wie Gott selbst, die Methode des freien, werbenden und liebevollen Angebotes. Selbst auf die Gefahr hin, dass diese Methode un-bequem und nur in wenigen Fällen Erfolg versprechend ist, setzt er diese ein weil er weiß, dass die Menschen, die auf eine solche Art und Weise gewonnen werden, auch aus einer inneren Überzeugung und echten Begeisterung dabei sind.
Nun steht aber von all dem kein Wort in unserem Markus-Text. Hier ist viel-mehr die Rede einzig und allein von der Versuchung, der Jesus durch Sa-tan ausgesetzt ist. Oft denken wir dabei automatisch an eine Art Teufel, so mit Hörnern, Bocksfuß und ausschweifendem Schwanz. Aber solch eine Karikatur wird der biblischen Aussage nicht gerecht. Satan – zu deutsch „Widersacher“ – erscheint in der Bibel vor allem als Prüfer, der den Menschen zur Bewährung herausfordert. Häufig erleben wir ja diesen Widersacher als einen Teil von uns selbst; dann nämlich, wenn wir versucht sind, „vernünftig zu berechnen“, statt „liebevoll zu vertrauen“; oder wenn wir dazu neigen, anderen Böses zu vergelten anstatt unseren Gegnern zu verzeihen; oder ganz allgemein in unserer Neigung zum Egoismus.
Nun taucht aber bei Markus noch ein weiteres Detail auf, welches Matthäus und Lukas so nicht benennen: „Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.“ Im ersten Moment denkt man bei den wilden Tieren an die Gefahren der Wüste, denen Jesus in dieser unwirtlichen Gegend ausgesetzt ist. Aber von einer Bedrohung Jesu durch Raubtiere ist in unserem Text überhaupt nicht die Rede. Es heißt lediglich, dass er mit ihnen zusammenlebt. Und außerdem passt der Zusatz, dass Engel ihm dienten, ganz und gar nicht zum Bild, in dem man eine Gefährdung erkennen könnte. Wie aber muss man das dann verstehen?
Ich meine, es lohnt sich, diese beiden starken und so kurz skizzierten Bilder mal genauer anzuschauen. Zum einen könnte man jetzt sagen, dass sie im Alten Testament als Kennzeichen einer neuen Heilszeit gelten. Der Prophet Jesaja redet ja da auch vom friedvollen Zusammenleben von Mensch und Tier, wenn die Zeit des Heils da ist. Mit anderen Worten: Markus macht mit diesen Bildern seinen Lesern klar, dass nun genau diese Heilszeit mit Jesus angebrochen ist. Andererseits kann man aber auch sagen, dass diese bei-den Bilder eine Wirklichkeit umschreiben, die wir Menschen nur allzu gut kennen – und zwar an und in uns selbst. Sprich: Es könnte hier doch auch um die „wilden Tiere“ in uns gehen; um das Wilde, Zerstörerische, Aggressive das es eben auch in uns Menschen gibt, und das wir nur liebend gerne verdrängen oder verstecken möchten. All das ist oft nur schwer auszuhalten, weil wir eben gerne ein anderes Bild von uns machen. Und woher kommt das? Ich denke unser Problem ist es, dass wir die wilden Tiere und die Engel nicht in Einklang bringen können. Wir glauben, dass wir die wilden Tiere in uns wegsperren, bekämpfen und ausmerzen müssen, weil wir nur so wirklich zu Boten Gottes werden können. Das eine ist in unseren Au-gen nur ohne das andere zu haben. Dabei zeigt uns Jesus deutlich, dass es auch anders geht. Er hat nicht nur Gott und seine Mitmenschen geliebt, sondern er hat auch sich selbst angenommen, mit der ganzen Vielfalt seiner Anlagen und Möglichkeiten. Er hat nichts verdrängt, unterdrückt oder gar „verteufelt“, sondern auch die dunklen Seiten der menschlichen Natur angenommen und ins Positive umgewandelt. Er kämpft in der Wüste nicht mit diesen „wilden Tieren“, „tötet“ sie nicht und versucht auch nicht, sie zu verjagen. Vielmehr hält Jesus sich aus, mit allem, was ihn als Mensch aus-macht. Er hält sich aus mit all den Anteilen, die wir Menschen an uns nicht gerne sehen, weil sie eben nicht in unser Bild von uns passen. Aber: Jesus versöhnt sich mit sich selbst – Er lebt mit diesen Anteilen!
Das alles war ihm nur möglich, weil er unmittelbar zuvor die Zusage Gottes bei seiner Taufe im Jordan vernommen hat: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich gefallen gefunden!“ Gott hat gefallen gefunden an diesem Menschen – so wie er ist. Er duldet ihn nicht nur; hält ihn nicht nur aus, sondern Gott nimmt ihn voller Liebe an. Und diese Zusage, diese Liebeserklärung Gottes, die gilt seit unserer Taufe auch ihnen und mir.
Nun werden wir also mit diesen Bildern in die Fastenzeit geführt. Sie sind gedacht als Einladung oder auch als Zumutung, Wüstenzeiten zuzulassen: Zeiten, in denen wir ganz bei uns sein können und uns selbst aushalten. Wir sollten es wagen, uns selbst unverstellt und unverkrampft in den Blick zu nehmen – mit den Seiten an uns, die wir mögen und schätzen, aber eben auch mit denen, die wir lieber gerne verstecken. Denn was wir nicht kennen, was wir verdrängen oder vor was wir weglaufen, das kann unberechenbar werden, eine eigene Dynamik entwickeln und Macht über unser Leben gewinnen. Gott mutet uns diese Erfahrung zu, weil er trotz aller wilden Tiere in uns, uns liebevoll anschaut und Gefallen an uns hat.
Kann ich das wirklich glauben? In den kommenden Wochen sind wir einge-laden uns mit uns selbst zu versöhnen; mit mir selbst in Frieden zu leben, weil Gott zu mir steht und mir sagt: Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn. Ich kann in dieser Zeit mir Gewissheit darüber verschaffen, ob ich diese Botschaft nur höre oder ob ich mich wirklich mit Haut und Haaren, Leib und Seele von ihr ergreifen lasse. Und ich kann lernen, dass Gottes Heil auch in mein Leben hineinwirkt und seine Spuren hinterlässt – wenn ich nur bereit bin, dies zuzulassen und anzunehmen.
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Erstellt am: 26.02.2012 14:35 Uhr