Predigt zum 2. Fastensonntag 2012

L II: Röm 8, 31b-34 / Ev.: Mk 9, 2-10
Schwestern und Brüder!
Wenn wir von einem Menschen sagen, er sei „über den Berg“, dann meinen wir damit doch im Allgemeinen, dass es für seine persönliche Zukunft – auch wenn es bis dato eben ganz anders aussah – nun endlich wieder positive Signale gibt. Vielleicht hat sich da nach einer finanziellen Krise eine neue Perspektive ergeben; vielleicht sorgt da ein neuer Arbeitsplatz für Hochstimmung oder aber – und ich meine, dass wir diesen Ausspruch in diesen Fällen wohl am meisten verwenden – eine gesundheitliche Notsituation hat sich eindeutig zum Besseren gewendet.

Auch bei Jesus hat dieses „auf oder über dem Berg sein“ eine ganz wichtige Bedeutung. Denn für ihn war damit die Entscheidung verbunden: Ja, ich gehe den Weg nach Jerusalem – und zwar konsequent bis zum Ende. Woher er dazu die Kraft nahm? Genau darauf versucht uns nun das heutige Evangelium eine Antwort zu geben. Denn dieses – im wahrsten Sinne des Wortes – Gipfeltreffen von Mose, Elija und Jesus hat ihn letztlich erkennen lassen, wie sein ganz persönlicher Weg aussehen muss.
Mose und Elija sind ja nun wirklich zwei Männer, die die Geschichte des Volkes Israel in erheblichem Maße mitgeprägt haben. Schauen wir zunächst einmal auf Mose: Mit seiner Stimme hat er dem Volk Israel mit eine ungeheuren Kraft und Vehemenz die Vision der Freiheit verkündet. Er war es, der zum Exodus aufgerufen hat, zum Aufstand und zum Ausbruch aus der Sklaverei in Ägypten. Mose ist der Mann, der sich immer wieder selbst an die Spitze seines Volkes stellt, es immer und immer wieder neu ermutigt, die Angst vor den Unterdrückern abzulegen und das Risiko der Freiheit einzugehen. Mose ist also der Mann, der ein ganzes Volk einen Weg gehen lehrt; und zwar einen Weg, der vielen zunächst unbegehbar scheint und der einzig und allein gestützt wird in das Vertrauen auf Gott, der diesen Weg mitgeht. Wenn Mose redet, dann höre ich aus seinen Worten ganz deutlich den Appell: „Klammert euch nicht an das, was euch versklavt, sondern wagt die Freiheit, die Gott euch schenkt und in die er euch auch führen will.“
Ich glaube schon, dass sich diese Stimme des Mose tief in die Gedanken- und auch die Gefühlswelt von Jesus eingeprägt und ihn auch nicht mehr losgelassen hat. Das war eine Stimme, die ihm noch einmal deutlich vor Augen geführt hat, dass sein Auftrag darin besteht, die Gefangenen zu befreien; nicht nur die, die zu Unrecht hinter Gittern sitzen, sondern die sich in ihrer Lebenslage gefangen fühlen und aus der sie endlich, endlich ausbrechen möchten.
Dann ist da aber auch noch die Stimme des Elija. Die Stimme eines eifrigen Propheten, die sich gegen alle Sklaverei durch einen falsch verstandenen Gottesdienst erhebt. Elija ist ja der Prophet, der immer und immer wieder versucht, seinem Volk die Augen zu öffnen. Dieses sitzt zwar im Land der Verheißung, aber es hat sich vom wahren Gott abgewandt. Zum einen haben sich die Menschen durch ihren Reichtum andere Götter geschaffen, von denen sie sich noch mehr Geld und ein größeres Ansehen erwarten; dabei merken sie aber gar nicht wie sie sich erneut versklaven und abhängig machen. Zum anderen sind viele weiterhin der Meinung, dass sie Gott doch immer noch in hohem Maße treu sind; dabei merken und spüren sie aber gar nicht, dass sie sich nur ein Bild von diesem Gott gemacht haben, das ihnen in den Kram passt und das sie schlussendlich nicht anders versklavt als ein Götze. Wie viel an Zwang, Terror und Angst hat es denn gerade im Namen Gottes in den letzten 10 Jahren gegeben? Waren und sind diese Jahre nicht ein mehr als deutlicher Beleg dafür, wie Gott oft dazu missbraucht wird, Hass, Terror, Angst und auch Kriege zu legitimieren und so Unheil über die Menschen zu bringen?
In den beiden Stimmen des Mose und des Elija hat Jesus noch einmal die Gewissheit darüber erhalten, was seine ureigene Berufung ist. Sein Weg ist der, dass er Menschen von aller Sklaverei erlöst, welche sie innerlich und äußerlich gefangen hält und dass er den Menschen das heilende Antlitz Gottes näherbringt. Das zu tun, das zu verwirklichen hat er mit jeder Faser seines Herzens versucht. Was das aber im Endeffekt heißt, das erfahren wir dann, wenn wir Mose und Elija richtig zugehört haben. Denn da wird doch mehr als ersichtlich, wohin ein solcher Weg führt: nämlich vom Tabor hinunter nach Golgotha – das ist die Konsequenz eines solchen Verhaltens, die Konsequenz eines solchen Handelns.
Das haben Sie so nicht vernommen? Dann möchte ich Ihnen gerne in Erinnerung rufen: Trotz all seiner Begeisterung hat auch ein Mose erlebt, dass die Menschen ihn verlacht und nicht ernstgenommen haben. Er stieß nicht nur auf Widerstand bei den Unterdrückern, sondern auch auf eine große Verzagtheit bei den Unterdrückten. Und wenn Jesus wie Elija daran ging, alle falschen Gottesbilder zu zerstören und stattdessen Gott einen liebenden Vater genannt hat, dann braucht man sich über den Widerstand damals nicht zu wundern. Die einen begehrten auf, weil sie natürlich all ihre Götzen verloren, mit denen sie Menschen manipulieren und ihnen Angst einflößen konnten; mit denen sich Opfer erzwingen und blinde Gefolgschaft einimpfen ließen. Aber auch die Unterdrückten wehrten sich, weil die Sichtweise Jesu ihnen ein Gottesbild nahm, auf das sie sich immer verlassen hatten. Darum waren sich beide Gruppierungen auch recht schnell einig in dem verheerenden Ruf: „Wir haben von Gott ein Gesetzt erhalten, und nach diesem Gesetzt muss er sterben.“
Jesus trug also die Visionen dieser beiden großen Männer in sich; er war von diesem Geist der Freiheit erfasst, der durch die Botschaft beider ging – aber, und das ist das ganz entscheidende und grundlegend andere Verhalten Jesu – er ließ sich bei diesem Handeln auch von Gottes Geist führen. Die Visionen, denen Mose und Elija ihre Stimme geliehen haben, die sind von einer so faszinierenden, aber auch so rigorosen Kraft, dass sie auch zu einem blinden Eifer verführen können. In einem solchen Eifer und blinden Hass erschlug Mose einen ägyptischen Unterdrücker und Elija ließ alle Baalspriester gnadenlos abschlachten. Aber Jesus handelt anders. Er lässt lieber sich töten, als selbst zu töten. Und warum? Weil er davon überzeugt ist: Der Weg Gottes ist nicht in Weg der Gewalt, sondern ein Weg der – sicherlich auch mitunter – törichten Liebe zu den Menschen.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Warum wird uns denn dieses Evangelium überhaupt erzählt? Und ich will Ihnen darauf sagen: Sicherlich nicht nur, um uns wieder einmal von Neuem zu sagen, dass Jesus der Sohn Gottes ist – das sicher auch. Aber es geht wohl auch ganz entscheidend darum, dass wir selbst in uns hinein hören, ob nicht auch wir die Stimme von Mose und Elija hören; ob sich nicht auch in uns die Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit regt, die Sehnsucht nach Befreiung von allerlei Götzen unserer Tage und versklavenden Gottesbildern.
Allerdings müssen wir uns dabei auch im Klaren sein, dass uns die Erfüllung dieser Visionen nicht in den Schoß fällt. Wir erleben es doch momentan tagtäglich, wie die Pharaonen dieser Welt reagieren, wenn sie ihren Profit bedroht sehen. In der großen Weltpolitik pfeift man ganz schnell auf gemeinsame Werte und Grundlagen, wenn es darum geht, das eigene Ansehen zu bewahren bzw. eigene Interessen durchzusetzen. Und im Alltagsgrau eines Betriebes, eines Familienlebens oder auch in Beziehungen jeglicher Art, sieht das doch nicht anders aus. Sprüche wie: Jede und jeder ist sich selbst der oder die Nächste – oder auch: Das Hemd ist mir näher als die Hose, die gehören heute doch zum ganz normalen Umgangston in unserer Gesellschaft und unter uns Menschen. Wehe, da kommt einer und ruft zum Aufstand, zu Solidarität und Selbstbescheidung auf – so jemandem steht deutlich Ärger ins Haus von all den Zepterschwingern wie auch von all jenen, die sich verzagt den Strukturen der Ungerechtigkeit beugen. Und allüberall dort, wo wir dem Gott des Lebens Raum schenken möchten und uns von den selbsternannten und selbst erbauten Altären lossagen, da wird dann ganz schnell gerufen: „So geht’s doch nicht. Wo kommen wir denn da hin?“
Es stimmt schon, die Reden von Mose und Elija, sie faszinieren auch heute noch. Nur – wir dürfen wie Jesus nie die Vision aus den Augen verlieren, dass die Liebe stärker ist als jede Gewalt. Sonst werden wir zu Fanatikern, die nicht Freunde, sondern Feinde des Lebens sind. Nicht unsere Machtmittel sind entscheidend, sondern nur die beharrliche Liebe, die jeden Menschen einschließt.

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Erstellt am: 04.03.2012 19:30 Uhr

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