Lesung: Jer 31, 31-34 / Evangelium: Joh 12, 20-33
Schwestern und Brüder!
Beim Nachdenken über Fragen des Glaubens, des christlichen Lebens und auch der Seelsorge in unseren Tagen, da hab ich mitunter den Eindruck, als mache sich eine große Ratlosigkeit breit. Wie soll es angesichts gewandelter gesellschaftlicher Verhältnisse mit der Glaubensvermittlung bei Erwachsenen und Kindern weitergehen? Welche Konsequenzen ziehen wir aus den vielfältigen Mängeln in unserer Kirche? Dem Mangel an Priestern und hauptberuflichen Mitarbeitern, dem Mangel an ehrenamtlichem Engagement, dem Mangel an Glauben und somit auch dem Mangel an Gottvertrauen? Fragen über Fragen die oft dazu führen, dass sich ein Klima der Resignation unter uns ausbreitet, dem ich hier ganz entschieden entgegentreten möchte. Ja, ich möchte sogar sagen: Vor lauter Beschäftigung mit dem Vergangenen kreisen wir oft nur noch um das, was gestern wichtig und vielleicht auch richtig war. Und dennoch glaube ich eben, dass es auch heute in den Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Sinn gibt. Wenn wir aber als Kirche nur überwiegend in der Vergangenheit denken und stochern, dann laufen wir Gefahr, auf eben dieses Suchen der Menschen keine Antwort zu geben.
Nun hat mir zum besseren Verständnis des heutigen Evangeliums, aber auch zum besseren Verständnis genau dieser, unserer kirchlichen Situation ein Brief des 31-jährigen Mozart an seinen kranken Vater verholfen. Da schreibt er: „Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht … den anderen Tag nicht mehr sein werde … und keiner meiner Freunde wird sagen können, dass ich deshalb im Umgang mit ihnen mürrisch oder traurig wäre…“
Die bewusste Wahrnehmung der eigenen Begrenztheit, ja die Aufgeschlos-
senheit Mozarts gegenüber dem Tod, das bedeutet für ihn eine Intensivierung, eine Vertiefung und Weitung des Lebens. Und genau diese herausfordernde und bereichernde Auseinandersetzung mit dem eigenen Ende, die begegnet uns ja auch im heutigen Evangelientext wieder. Da findet Jesus durch den Blick auf seinen nahen Tod zu Einsichten, die ihm den Lebenssinn bis zum Schluss eröffnen: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Die Wahrnehmung, dass die eigene Zeit begrenzt ist, vermag also einerseits den Blick für all jene Personen zu schärfen, die dieses, mein Leben vertiefen, als auch all jene Bereiche, all jene Dimensionen, Gaben und Aufgaben wahrzunehmen, die das Leben vertiefen und authentisch machen. Oder anders ausgedrückt: Aufgeschlossenheit gegenüber dem Tod gibt dem Leben eine andere Tiefe.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt schon geraume Zeit: Was haben denn nun solche Gedanken über das Ende oder den Tod mit dem zu tun, was er uns da eingangs über die kirchliche Situation erzählt hat? Nun – ich denke, was so für das menschliche Leben gilt, das gilt doch vielleicht auch für das Leben der Kirche. Selbst wenn es an manchen Orten unvermutete Aufbrüche gibt, so befindet sich die Kirche in Europa aber doch seit Jahren in einer Phase der Schwächung, der Wandlung und der Krise. Ja, manches in ihr erinnert einfach ans Sterben. Oto Madr, ein tschechischer Theologe, hat bereits in den 70-er Jahren eine Theologie der Kirche erarbeitet, die uns heute in der Krise durchaus behilflich sein kann. Bedingt und geprägt durch seine Erfahrungen in den 50-er und 60-er Jahren, als er in einem totalitären Staat über 14 Jahre im Gefängnis saß, da entwickelte Madr eine Perspektive, ja eine geistige Haltung, die Kraftvolles und Ermutigendes für eine Kirche in Krisenzeiten eröffnet. Die Grundvoraussetzung dafür ist allerdings der Wille zur Wahrheit und nicht billige Vertröstung. Deshalb schreibt Madr:
„Das Leben mit der Perspektive des Endes deprimiert und demobilisiert. Das ist ganz natürlich. Der Tod kann das Leben nicht stimulieren – insofern man im Bann des Biologischen bleibt. Dann gibt es … die üblichen Reaktionen; Zweckoptimismus, verzweifelten Trotz, bitteren Pessimismus, psychische Emigration und reale Flucht aus der Situation. Aber ist das eine wie das andere tatsächlich notwendig? Ist es menschlich? Ist es christlich? Nehmen wir doch zur Kenntnis, dass das Sterben zum Leben der Kirche gehört, wie die Geburt und die reife Fülle. Alle Stadien sind vor Gott wertvoll … So gilt, dass in jedem von ihnen … etwas von uns Christen erwartet wird, und zwar etwas ganz Besonderes.“
Diese Ausführungen Madr’s finde ich sehr bedenkenswert und natürlich taucht die Frage auf: Was erwartet denn nun Gott von den Seinen im Stadium einer „schwächer werdenden“ Kirche? Madr selbst nennt 4 bleibende Herausforderungen für eine Kirche in der Krise, die ich gerne weiter entfalten möchte:
Die erste Herausforderung heißt: Das Schwächerwerden bzw. den möglichen Tod annehmen und sich nicht mit falschen Vertröstungen täuschen oder in Ersatzvergnügungen flüchten. Damit ist gemeint, dass so, wie Menschen sich über die eigene „End-zeit“ und „Endlichkeit“ hinweg schwindeln können, eben auch die Menschen in der Kirche – und hier vor allem die verantwortlichen „Hirten“, sprich die Bischöfe – nicht davor gefeit sind, die Augen über den eigenen Zustand zu verschließen bzw. die Situation „schön zu reden“. Wer jedoch den Mut hat ehrlich auf die eigene Situation, das Niedergehen und Sterben zu schauen, der bekommt ein Gespür dafür, worum es im eigenen Leben geht bzw. im Leben der Kirche gehen soll; derjenige entdeckt, was wirklich wichtig ist und was eben nicht. Daran erinnert ja auch unser heutiges Evangelium, in dem Jesus – mit Blick auf den eigenen Tod – zu einer Perspektive für ein fruchtbringendes Lebens findet, gerade in
der Endphase seines Lebens.
Die zweite Herausforderung meint: Intensiv leben und die geistliche Energie in den Kern zusammenziehen. Madr ermutigt angesichts des Todes, eine starke und widerstandsfähige Spiritualität zu bauen. Dabei sind für ihn das „Alpha und Omega“ zum einen der persönliche, lebendige Glaube, sowie zum anderen lebendige Gemeinschaften. Wer sensibel ist für das eigene Sterben, der wird auch sensibel werden für eine tragfähige Spiritualität – mit Worten, Perspektiven und Erfahrungen, die den Menschen zu denken geben, die sie herausfordern, sie miteinander verbinden, ihnen Mut machen und die Angst nehmen.
Die dritte Herausforderung Madrs könnte man umschreiben mit: Das Beste aus sich herausgeben! Das ist eine sehr eigenwillige Formulierung, aber sie macht deutlich: Wer sein Sterben nicht wegschiebt, der hat auch die Möglichkeit, seine Hinterlassenschaft gut und sauber zu regeln. Demenstpre-chend wäre für unsere Kirche also eine Frage heutzutage ganz besonders stimulierend und wichtig: Was würde denn nach dem Tod unserer Kirche für Außenstehende bleiben? Wie wird für die Nachfolgenden das Wort „christlich“ klingen? An welches Erbe würden denn jene anknüpfen können, die die Kirche in unseren Breitengraden wieder neu gründen müssten? Ist hier noch etwas vom Geist Jesu und dem befreienden Wort Gottes da? Ist da noch etwas zu spüren, woran man anknüpfen könnte? Je weniger eine Kirche sich der eigenen Krise bzw. der Möglichkeit des eigenen „Verschwindens“ bewusst ist, umso eher bleibt sie an der Oberfläche, im Formelhaften und Starren gefangen – mit durchaus weitreichenden Folgen.
Die vierte und schließlich letzte Herausforderung Madr’s lautet: Die Kirche nicht sterben lassen wollen! Damit meint er: Es ist doch bekannt, dass Patienten, denen es gelungen ist, ihre eigene Endlichkeit bzw. Sterblichkeit anzunehmen, dass diese auf einmal imstande waren, ihre inneren Kräfte zu mobilisieren und um ihre Genesung zu kämpfen. Für die Kirche würde das bedeuten, dass neue „Lebensnähe“ und Lebendigkeit sich vor allem dann ausbreiten kann, wenn sie den Mut zur Wahrheit hat und sich mit aller Offenheit und Entschiedenheit dem eigenen Sterben, aber auch dem „Leben-Wollen“ stellt. Vielleicht wird ja die Kirche auf diesem Wege wieder „wesentlicher“ und kann so lernen, das loszulassen, das aufzugeben und zu verändern, was ihr bis heute noch unveränderbar erscheint. Oder um es mit den Worten des großen Konzilspapstes Johannes XXIII. zu sagen: „Darauf kommt es an: immer in Bewegung zu bleiben, sich nicht in eingefahrenen Gewohnheiten auszuruhen, sondern immer auf der Suche nach neuen Kontaktmöglichkeiten Ausschau zu halten, unaufhörlich auf der Höhe berechtigter Forderungen der Zeit zu bleiben, in der zu leben wir berufen sind, damit Christus auf jede Weise verkündet und erkannt werde.“
Vielleicht durften Sie jetzt auch spüren: Zur Resignation gibt es überhaupt keinen Anlass. Im Gegenteil: Die Krise ist – wenn wir die Herausforderungen Madr’s annehmen – in der Krise, denn der Gott Jesu ist doch geradezu in das Leben verliebt. Der Tod, die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung haben bei ihm nicht das letzte Wort. Das hat mir, das hat uns, Jesus gezeigt Und deshalb spüre ich auch: Seine Aufgeschlossenheit gegenüber dem Tod gibt dem Leben eine ganz andere Tiefe. Wie wahr und wie richtungsweisend dieser Satz doch sein kann – für mich, für Sie, aber auch für unsere Kirche.
Infos unter:
Erstellt am: 25.03.2012 07:21 Uhr
