Zündfunke, 06.04.12

Diakon Bertram Bolz
Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Sie zogen ihn aus, liebe Schwestern und Brüder, und verteilten seine Kleider unter sich; so heißt es in der Leidensgeschichte. Das ist die nackte Wahrheit – nicht in einer abstrakten Formel, sondern leibhaftig in Person: Jesus selbst. „Sie zogen ihn aus…“ Manch eine oder einer unter ihnen wird jetzt vielleicht denken: Davon spricht man doch nicht – schon gar nicht an einem solchen Tag.
Aber genau das ist passiert, an diesem Freitag vor knapp 2000 Jahren. Nur – wer möchte sich – heute wie damals – schon gern eine Blöße geben? Aber was tun, wenn man bloß da-steht? Wenn man gewaltsam ausgezogen und vorgeführt wird? Das ist erniedrigend und verletzend zugleich. Bis dahin ist es also gekommen mit Jesus und seinem liebenden Weg zu uns Menschen. Das ist die nackte Wahrheit – über ihn, aber auch über uns. Der Karfrei-tag bringt diese Wahrheit an den Tag.
Das Verhalten derer, die Jesus den Prozess machen, auch derer, die scheinbar unbeteiligt gaffen, johlen und schreien – das Verhalten all derer ist eine einzige Schamlosigkeit. Schämen müssen sich die, die hinter Panzer und Uniform, allemal gut gekleidet, zu ihrem Nutzen und Spaß andere ausziehen, und alle, die dabei tatenlos zuschauen, mit vermeint-lich reiner Weste, heute wie damals.
Jesus ist ausgezogen worden, vor aller Augen. „Ecce homo – Seht da den Menschen!“ Das ist die Wahrheit über uns: Nackt kommen wir zur Welt und nackt verlassen wir sie wieder im Tod. Schon bei Adam und Eva hieß es, dass sie erkannten, dass sie nackt waren. Was wir haben und uns umhängen, all das lässt uns nur allzu leicht vergessen, was wir im Letz-ten sind: nämlich nackt. Die übergezogenen Würden, die wir uns leisten oder meinen lei-sten zu müssen, die sind nicht von Bestand. Aber können wir ohne sie leben? Die nackte Wahrheit ist oft so schwer zu ertragen!!
Über all die Jahrhunderte haben Christen sich gescheut, Jesus am Kreuz darzustellen. Eine solch entwürdigende Hinrichtung ist ja auch nicht gerade einladend. Wer versteht denn den Sinn dieses Kreuzes? Als die Christen dann doch versuchten, Jesus am Schandpfahl darzustellen, umkleideten sie ihn mit langen Gewändern und einer kostbaren Krone. Die nackte Wahrheit der Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz verschwand unter den königlichen Insignien der Erhöhung und Auferstehung. Auch als man in der Spätgotik sich endlich zur realistischen Darstellung der Kreuzigung durchrang, ließ man dem Gekreuzigten das Lendentuch. Hätte man ihn ganz entblößt, es wäre ein Skandal. Aber genau das ist das Kreuz dieses Tages – ein Skandal – bis heute und für alle, die es auch heute erleben, erleiden, erdulden müssen.

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Erstellt am: 06.04.2012 13:35 Uhr

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