Der 6.Sonntag nach Ostern trägt den Namen Exaudi (das heißt „erhöre mich“). Im vorgegebenen Predigttext ist davon die Rede, dass Gott uns erhört und sich in neuer Weise zu erkennen gibt.
Wir hören aus Jeremia 31,31-34:
31 Siehe es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen,
32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr;
33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.
34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: „Erkenne den Herrn“, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
(Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg Amen)
Liebe Gemeinde,
Von Karl Rahner stammt die prophetisch anmutende Aussage: „Das Christentum im 3.Jahrtausend wird mystisch sein oder es wird nicht mehr sein.“ Mit mystisch ist nicht etwas magisch Geheimnisvolles gemeint, sondern Erkenntnis Gottes durch Erfahrung/ cognitio dei experimentalis.
Davon handelt unser heutiger Predigttext, wenn uns da gegen Ende des gehörten Bibelabschnitts gesagt wird: Es wird keiner den andern lehren und sagen:“Erkenne den Herrn“, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr.
Jeremia kündigt eine Zeit an, in der alle Gott erkennen werden und zwar nicht auf dem Weg der dogmatischen Belehrung, sondern durch ein Erkennen aus sich selbst heraus, das Kleinen und Großen gleichermaßen durch Gott ermöglicht wird. Es ist wohl kein Zufall, wenn Jesus auf Kinder hinweist, von denen wir Erwachsen lernen sollen.
Kleine Kinder haben noch ein ganzheitliches Gespür. Sie können sich spontan freuen und leben ganz im hier und Jetzt. Sie sind auch nicht
nachtragend und haben keine Vorurteile wie wir Erwachsene. Sie haben eine Ahnung für größere Zusammenhänge, sie haben noch – um mit Worten von Friedrich Schleiermacher zu reden – „einen Sinn und Geschmack für/s Unendliche.“ Inwendig – tief in unserem Inneren – haben wir alle, Klein und Groß, eine Ahnung, dass wir von Gottes Nähe umgeben sind, die in der Schönheit der uns umgebenden Natur aufleuchtet wie auch in Worten der Bibel, die uns mit neuem Leben erfüllen.
Das Erkennen Gottes beginnt nicht mit kirchlichen Lehrsätzen und dogmatischen Richtigkeiten, sondern es beginnt mit dem Staunen.
Staunen kann der der Beginn eines Wegs sein, auf dem Gott in neuer und vertiefter Weise erfahren wird.
Im heutigen Predigttext wird dieser Weg mit der Ansage eines neuen Bund
angekündigt: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, (nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten, ob ich gleich ihr Herr war;)
Diese Worte stehen bei Jeremia in den so genannten Trostschriften, in denen der Prophet seine Zeitgenossen aufzurichten und zu ermutigen versuchte. Das Haus Israel, das Nordreich, war von den Assyrern zerstört und das Haus Juda, das Südreich mit dem Tempel, war von den Bayloniern
bedroht und stand unmittelbar vor seinem Ende, was Jeremia noch miterlebte. In dieser schwierigen Situation, die Jeremia mit dem Fehlverhalten seines Volks zusammenbrachte, versucht nun der Prophet mit der Ansage eines neuen Bundes sein Volk zu trösten und zu ermutigen:
Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.
Wir Christen glauben, dass sich diese Zusage mit Jesu Kommen erfüllt hat. In ihm, in seinen Worten und Taten, gibt sich uns der transzendente und letztlich unbegreifliche Gott als liebender Vater zuerkennen. Auf diese Erfahrung Gottes als Liebe weist Jeremia ausdrücklich hin, wenn es da am Schluss heißt: ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
In den Einsetzungsworten Jesu zum Abendmahls wird der neue Bund ausdrücklich mit der Zusage der Vergebung verbunden. Mit der Zusage der Vergebung ist der Kern unseres christlichen Glaubens angesprochen.
Vergebung macht uns frei von den Lasten der Vergangenheit und schenkt uns Aussöhnung mit uns selbst und inneren Frieden. In dieser heilsamen Erfahrung, die uns wandelt und neu zum Leben ermutigt, will Gott von uns erkannt werden. Dass es sich dabei nicht um eine einmalige Aktion handelt, sondern um eine Haltung, die lebenslang eingeübt sein will, darauf hat Jesus selbst hingewiesen.
Auf die Frage, wie oft soll man vergeben, genügt siebenmal ? hat Jesus geantwortet: Nein nicht siebenmal, sondern siebenmal siebzigmal und das meint ständig.
Durch Jesus, durch seine Worte, lernen jenes Gesetz der Liebe, das Gott uns durch Jeremia verheißen hat: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben. Dieses Gesetz, das Gott in unser Herz und in unseren Sinn gegeben hat, ist Liebe, die wir im Laufe unseres Lebens zu entfalten haben in Güte, in Gerechtigkeit und Achtsamkeit gegenüber jedermann. Wo immer wir unser Leben danach ausrichten, da lernen wir die Welt und uns selbst in einem neuen Licht zu sehen.
Da kommt es zu einer Verlagerung unserer Wahrnehmung weniger egoistisch und selbstbezogen, sondern offen für andere und für deren Nöte. Was wirklich zählt und Bestand hat, das hat mit Liebe zu tun. Denn alles, was uns im Leben begegnet, ist Liebe oder ein ruf nach Liebe. In dieser neuen Sichtweise wird unser Leben kraftvoll und bekommt eine klare Zielgerichtetheit. Ja in der menschlichen Liebe, und sei sie noch so fragmentarisch, lässt sich Gott unmittelbar erfahren ohne Vermittlung und Belehrung:
Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: „Erkenne den Herrn“,sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr.
Wo wir einander in Liebe und Toleranz begegnen, da können wir auf Belehrungen verzichten – auch im Gespräch mit anderen Konfessionen und Religionen. Wir wirken durch unser Sein und nicht durch beeindruckende und letztlich leere Worte. Das gilt besonders auch
im Dialog von Christen und Juden. Wo Bezeichnungen Altes Testament und Neues Testament, alter Bund und neuer Bund mit disqualifizierenden
Werten verbunden sind, da ist es ratsam, derartige Worte behutsamer zu gebrauchen. Es gibt Theologen, die sprechen anstelle des Alten Testaments
von der Bibel der Juden oder vom ersten Testament.
Wo wir uns im Dialog vom Geist des erneuerten Bundes, von der Liebe leiten lassen, da sind wir auf dem Weg, um nach dem zu suchen, was uns eint. Ich möchte abschließend folgende Rabbigeschichte erzählen.
Ein Nichtjude fragte Rabbi Josua. „Ihr habt Feiertage, und wir haben Feiertage. Wenn ihr euch freut, freuen wir uns nicht, und wenn wir uns freuen, freut ihr euch nicht.
Wann freuen wir uns denn zusammen?“ Rabbi Josua antwortete: „Wenn der Regen fällt“! Diese Kurzgeschichte ermutigt uns, in der Begegnung mit anderen nicht das Trennende zu suchen, sondern das, was eint und uns verbindet. Gott selbst helfe uns in Jesus Christus, dass wir einander in Liebe begegnen, ohne den anderen von oben herab zu belehren, dass wir Gott da suchen, wo er sich findet lässt.
Amen
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Erstellt am: 20.05.2012 18:37 Uhr
