Predigt zum Hochfest von Pfingsten 2012

L I: Apg 2, 1-11 / Ev: Joh 15, 26f; 16, 12-15
Schwestern und Brüder!
Nahezu 2000 Jahre ist sie nun alt – ich denke mal, auf ein Jahr mehr oder weniger kommt es da gar nicht an – und man hat derzeit mehr und mehr den Eindruck, dass sie doch ganz gewaltig in die Jahre gekommen ist. Mit der modernen Welt tut sie sich unsagbar schwer und mitunter wird man den Eindruck nicht los, als wüsste sie doch manchmal selbst nicht so recht, wie sie sich heute zeigen, was sie bewahren oder auch verändern soll
– bis hin zu den Überlegungen, welche Aufgaben ihr denn heute ganz vordringlich und auch ganz originär anheimfallen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie vielfach an Überlieferungen für ihre Mitglieder und Amtsträger festhält, die die Menschen von heute nur schwer nachvollziehen können bzw. die Amtsträger selber haben in der Vergangenheit häufig ein Fehlverhalten an den Tag gelegt, welches allen – Gläubigen und Geistlichen – bis auf den heutigen Tag schwer zu schaffen macht. Vielleicht sind dies ja alles mit auch Gründe dafür, weshalb es um ihr Image in der Öffentlichkeit schlecht bestellt ist, wie verschiedene Umfragen immer wieder belegen. In diesen wird deutlich, dass die Menschen teils ein viel höheres Vertrauen in die Polizei, in Greenpeace oder den WWF haben, als in sie.
Von welcher Firma ich hier spreche, das wissen Sie längst. Es handelt sich um unsere Kirche. Vielleicht ärgert Sie ja auch dieser Sprachjargon und Sie denken bei sich: So kann man doch nicht von ihr reden; schließlich ist sie keine Firma und sie verkauft schon gar nicht irgendwelche Produkte. Stimmt! Wir sind keine Firma und das was wir den Menschen bieten, das sind auch keine Produkte im herkömmlichen Sinne. Aber ist uns eigentlich klar, wer wir als Jüngerinnen und Jünger Jesu im Jahr 2012 sind und welche Aufgaben wir in dieser Welt haben? Was haben wir denn als Kirche an ganz spezifischem in diese Welt einzubringen? Ich meine schon, dass wir genau auf diese Fragen unbedingt Antworten brauchen, denn sonst laufen wir als Institution wirklich Gefahr, zwar immer noch bestens organisiert und zentralisiert zu sein, aber unser ursprüngliches Anliegen zu vergessen oder gar zu verraten. Was ist denn Sinn und Zielrichtung dieser gigantischen Organisation „Kirche“, die sich in verschiedenen Konfessionen über die ganze Welt verbreitet hat? Wenn eine Organisation ihre ursprüngliche Idee vergisst, wenn sie sich nicht immer wieder daran erinnert oder wenn sie diese ursprüngliche Idee nicht immer wieder neu formuliert, dann entfernt sich schlussendlich von dem, was ihr Anliegen und wozu sie überhaupt da ist.
Also erinnern wir uns: Der Kreis der Jüngerinnen und Jünger Jesu hat sich nach der furchtbaren Erfahrung der Kreuzigung verunsichert und ängstlich zurückgezogen und alles verriegelt und verbarrikadiert. Von den ehemals so mutigen und entschlossenen Menschen war nicht mehr viel übrig geblieben. Angst hat sie gepackt, die Angst um das eigene Leben. Gleichzeitig war da aber auch die Erinnerung an ihn und diese bringt wieder Leben und Freude in die Gemeinschaft. Sein Gruß, mit dem er ihnen immer wieder erschienen ist: „Friede sei mit euch!“, zeigt Wirkung und es wird ihnen auf einmal deutlich: Ja, er lebt, er ist – wenn auch nicht mehr sichtbar und greifbar – unter uns mit seiner Kraft und seiner Liebe zu den Menschen. Und so fällt ihre Angst nach und nach ab, sie werden wieder aufnahmefähig, empfänglich für das, was sie schon immer an ihm fasziniert hat und was von ihm ausgeht. So springt etwas von ihm auf sie über – sein Geist – mit dem ihnen wieder Leben und vor allem Mut eingehaucht wird. Die Kraft, die sie dabei entwickeln, ist die Kraft, die Wahrheit zu sagen und zu tun und den Menschen Sünden zu vergeben. Und genau das ist das, was sie fortan als Aufgabe auch in dieser Welt wahrzunehmen haben, wie wir in den Evangelien nach Ostern immer wieder gehört haben. An diesem Auftrag hat sich bis heute
nichts geändert.
Das also ist die Erinnerung: Nur habe ich heute oft den Eindruck, dass dieser Auftrag kaum mehr durchscheint. Dass er uns vielleicht sogar abhanden gekommen ist, weil er in der Vergangenheit vielfach missverstanden und missbraucht wurde. Zumindest in unserer, der katholischen Kirche, da war die Sündenvergebung lange Zeit allein auf den Beichtstuhl verengt und die Wahrheit war sowieso einzig und allein in Rom zu suchen. Man hat Ängste geschürt, anstatt Menschen genau davon zu befreien; man hat einseitig moralische Verfehlungen angemahnt und den Auftrag der Vergebung und der Wahrheit oft als Herrschaft über die Menschen und ihr Gewissen missbraucht. Dabei ist Sünde ja in erster Linie kein Verstoß gegen eine moralische Norm und Vergebung ist kein hoheitlicher Gnadenerweis. Vielmehr hat Sünde mit Störung zu tun, mit Einschränkung und Leben: Sünde ist immer Absonderung oder auch Abwendung des Menschen von Gott und sie schlägt sich vor allem im Umgang des Menschen mit seinesgleichen oder der Natur nieder.
Vergebung aber ist die Versöhnung dessen, was da getrennt oder abgesondert wurde; Versöhnung ist das Herstellen einer neuen Beziehung zwischen den Menschen und Gott und natürlich auch zwischen den Menschen selbst. Das heißt, man muss an den Störungen arbeiten und man muss dem und der Einzelnen bei der Bewältigung menschlicher Grenzen und auch menschlichen Scheiterns helfen. Jede und jeder von uns erfährt im persönlichen Leben Schuld, Versagen oder auch dieses Scheitern – keine Frage. Und manchmal tut es verdammt weh, sich diesbezüglich die Wahrheit einzugestehen. Aber gerade deshalb ist es doch immens wichtig, dass wir als Kirche dem Auftrag Jesu insofern gerecht werden, dass wir Menschen von diesem Empfinden befreien und ihnen helfen, das Belastende tragbar zu machen. Um nichts anderes geht es bei der Vergebung. Oder anders gesagt: es geht darum, der oder dem Einzelnen über das Versagen und Scheitern hinaus, eine neue Lebensperspektive und eine neue Lebensmöglichkeit zu bieten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Jetzt ist sicherlich die Frage berechtigt, wer sind wir denn, dass wir solches tatsächlich können? Es wäre falsch zu glauben, dass wir das aus uns selbst könnten. Mitnichten! Die Sendung der Jünger ist ja auch nur dadurch verständlich, insofern sie vom Geist Gottes angehaucht sind und etwas von seinem Frieden erfahren haben. Wir werden die Vergebungspraxis nur dann ehrlich praktizieren können, wie wir sie auch an uns selbst geschehen lassen. Unsere Möglichkeiten mögen da verschieden sein, aber jede und jeder von uns kann eben in ihrem bzw. seinem Maß die Sendung Jesu im ganz persönlichen Leben erfüllen.
Stellen Sie sich doch einfach mal vor, es spräche sich herum, dass man bei uns Christen Hilfe erfährt und Vergebung zugesagt bekommt, wenn man sich in eine schlimme Lage manövriert, wenn man Gott und den Sinn des eigenen Lebens aus dem Blickfeld verloren hat. Stellen Sie sich vor, es spräche sich herum, dass die Jüngerinnen und Jünger von heute weiterhelfen, dass sie nicht nur zum Gespräch zur Verfügung stehen, sondern wirklich mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn sich jemand – mehr oder weniger – schuldhaft in Beziehungsschwierigkeiten verstrickt hat, nicht mehr herausfindet oder dabei ist, seine eigenen Lebenschancen zu verspielen und dabei unter immensen Ängsten leidet. Ich glaube, dass sehr viele ganz neu den Weg zu uns finden würden – ganz ohne Werbeaktion oder großangelegte Diskussions- und Glaubensforen – einfach nur, weil wir praktizieren, zu was Jesus uns beauftragt und berufen hat.
An Pfingsten – dem Geburtsfest der Kirche – haben wir uns Gedanken über den ureigenen Auftrag dieser Kirche und auch unser aller Berufung als Christen gemacht. So wünsche ich unserer Kirche – und mit ihr auch uns allen, dass wir die Sehschwäche und Schwerhörigkeit gegenüber den Problemen dieser Zeit angehen und gemeinsam überwinden. Dass wir nicht nur rückwärts schauen auf eine – war es wirklich immer eine glorreiche Zeit? – sondern vor allem auf den Anfang und den Auftrag, der uns bis heute aufgetragen ist. Lassen wir uns also anhauchen und dazu ermutigen, unsere Sendung in dieser Kirche und für diese Welt neu wahrzunehmen. Dann ist mir um die Zukunft unserer Kirche nicht bange, denn so werden wir Menschen neu begeistern. Amen.

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Erstellt am: 27.05.2012 11:33 Uhr

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