L I: Ez 1, 28c – 2, 5 / Ev: Mk 6, 1b-6
Schwestern und Brüder!
Wissen Sie was eine „Homestory“ ist? So nennt man jene Reportagen, welche Hochglanzmagazine oder auch die Boulevardpresse ganz gerne über Menschen aus der Politik oder über Stars aus Sport und Unterhaltung veröffentlichen. Da werden uns dann durch Fotos Türen geöffnet und Einblicke gewährt, wie es bei diesen Menschen zuhause aussieht und wir werfen ganz gebannt einen Blick hinter die Kulissen in der Annahme und Hoffnung, etwas mehr über den oder die Prominente zu erfahren. Dabei vergessen wir nur allzu oft, dass diese Geschichten und Reportagen alle gestellt sind, weil sich niemand, der im Rampenlicht oder Fokus der Öffentlichkeit steht, sozusagen „ungeschminkt“ ablichten lässt. Das wäre viel zu riskant. Aber eine mediale Inszenierung erhöht eben immer auch die Aufmerksamkeit.
Nun gewährt uns das heutige Evangelium einen ähnlichen Einblick; einen Einblick in das Leben Jesu und zwar in dessen Heimatstadt Nazareth. Wir kommen quasi mit ihm nach Hause und erfahren Details über seine Herkunft. Der Prophet und Wunderheiler ist eigentlich ein gelernter Zimmermann; Teil einer ganz normalen Sippe, die „man“ hier doch ganz gut kennt. Was aber soll denn nun so faszinierend an ihm oder an seiner Sippe sein? Und wir können feststellen: Die Nähe, dass er doch der Sohn der allen bekannten Maria ist, diese Nähe schafft hier eher Distanz. Die Leute reden über ihn, nehmen Anstoß an ihm und lehnen ihn ab. Ein Handwerker kann doch nicht einfach als Prophet daherkommen, das geht doch nicht. Und Jesus? Er kommentiert diese Erfahrung mit einem alten Sprichwort: „Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen, wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und seiner Familie.“
Jetzt könnten wir natürlich trefflich darüber philosophieren, warum und wes-
halb das denn so ist. Aber ich muss Ihnen ehrlich gestehen: Mich reizt vielmehr die Frage: Wie ergeht es denn Jesus in seiner neuen Heimat – nämlich der Kirche? Welches Ansehen hat er denn bei uns, seinen sogenannten Schwestern und Brüdern des 21. Jahrhunderts? Und wie stehen denn die zu ihm, die in dieser großen Familie, dieser Gemeinschaft der Gläubigen, das Sagen haben und die Richtung vorgeben? Deshalb male ich mir einfach mal aus, dass Jesus ins Zentrum unserer Kirche nach Rom kommt und dort seine Dienste anbietet. Vor einem erlesenen Gremium darf er dort seine Bewerbung vortragen und seine Ideen entwickeln. Danach beraten sich die Herren Kardinäle und unterziehen die Vorstellungen Jesu einer intensiven Prüfung.
„Ich muss gestehen, dass ich etwas irritiert bin“, beginnt der Präfekt der Glaubenskongregation, der demnächst durch den Regensburger Erzbischof abgelöst wird, die Aussprache. „Ich hatte eigentlich erwartet, dass er sich freut über das, was wir in 2000 Jahren aus seiner kleinen Bewegung gemacht haben; dass er stolz ist auf das, was sein Stellvertreter und wir alle unternehmen, damit seine Botschaft auch heute noch gehört wird. Aber er scheint ja nicht gerade begeistert davon zu sein, was er hier in Rom vorfindet.“ – „Das sehe ich auch so“, schaltet sich sofort der Leiter der Gottesdienst- und Sakramentenkongregation ein, „als er vom Fenster aus auf den Petersplatz hinuntersah, da dachte ich: Jetzt spurtet er wohl gleich die Treppe hinunter, schreit die vielen Devotionalienhändler an, reißt ihnen die Waren aus den Händen und jagt sie in alle Himmelsrichtungen auseinander. Aber er konnte sich ja gerade noch zurückhalten. Und als ich ihn dann gefragt habe, wie ihm unsere prächtigen Pontifikalämter und –gewänder gefallen, da hat er nur geschmunzelt und gesagt: „Ich komme mir vor wie in einem Museum. Überall steht das nicht vorhandene Schild vor meinen Augen: Bitte nicht berühren! Ich vermisse die Freude, das Lachen, die Ungezwun-
genheit meiner Tischgemeinschaft von damals.“
Ein Vertreter des obersten vatikanischen Gerichtshofes gehört auch zu diesem Gremium und schildert seinen Eindruck: „Habt ihr es auch bemerkt, liebe Mitbrüder, als ich Jesus fragte, ob er denn den Codex Juris Canonici – also unser aller verbindliches Gesetzbuch der Kirche – kenne, da hat er nur gelächelt und gesagt: „Weh euch ihr Gesetzeslehrer! Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, ihr selbst aber rührt keinen Finger dafür.“ Also Entschuldigung, aber er hat doch anscheinend keinerlei Ahnung davon, wie notwendig wir dieses Gesetzbuch brauchen, um einfach auch verbindliche Regeln für die gesamte Weltkirche zu haben. Ständig redet er immer nur von Freiheit und davon, dass das Gebot der Liebe vollkommen ausreiche. Ich kann das schon nicht mehr hören. Das ist doch alles viel zu vage!“
Daraufhin ergreift nun wieder der oberste Glaubenshüter das Wort und sagt: „Ich hatte den Eindruck, er ist richtig zornig geworden, als ich ihm vom ´Heiligen Vater` erzählen wollte. Richtig rabiat hat er mich unterbrochen und korrigiert: „Ihr sollt niemand auf Erden Vater nennen; nur einer ist euer Vater, der im Himmel!“ Wisst Ihr was? Ich werde den Verdacht nicht los, als dass sich dieser Jesus bei uns nie zurechtfinden würde. An allem hat er etwas auszusetzen: einmal findet er unsere Gewänder unpassend, dann kann er das höfische Zeremoniell nicht ausstehen; dann schimpft er über die vielen käuflichen Ehrentitel wie „Monsignore“ und „Prälat“, die er sich nicht merken kann und die er sich auch nicht merken will – weil sie unnütz sind, wie er sagt. Dann lächelt er wieder nur ganz süffisant über den Pump und Pronk, den man ja seines Erachtens überhaupt nicht braucht, und in den hierarchischen Strukturen, die wir über all die Jahrhunderte aufgebaut haben, da sieht er nur einen Machtapparat, der zu ihm und seinen Ideen überhaupt nicht passt. Wie hat er gesagt: „Bei euch aber soll es nicht so sein!“ All die Dogmen, die wir doch nur aus dem Grund formuliert haben, damit unser Glaube geschützt wird, die findet er viel zu kompliziert und viel zu weit weg vom Leben der Menschen. Er meint, wir sollten uns einfach mal wieder seine Geschichten und Beispiele anschauen – die seien den Menschen einleuchtend und würden ihnen beim Leben helfen. Also alles in allem kann ich nur sagen und glaube ich richtig zu erkennen, dass wir uns alle keinen Gefallen tun, wenn wir IHN hier wirken lassen. Er bringt – das sage ich euch – unser gut funktionierendes System nur ganz gewaltig durcheinander. Nichts passt ihm, an allem nörgelt er herum. Deshalb bin ich der Auffassung, wir sollten seine Bewerbung ablehnen. Bislang sind wir doch auch ganz gut ohne ihn zurechtgekommen…“
Auffallend ist, dass einer in der Runde bisher geschwiegen hat. Es ist ein Mitglied des neu gegründeten Rates zur Förderung der Neuevangelisierung. Jetzt meldet er sich zu Wort und redet den anderen ins Gewissen: „Eminenzen und Exzellenzen – oder nein, ich sage besser: Freunde! Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was er uns sagt, das wissen wir doch nun schon seit 2000 Jahren, aber haben wir es wirklich ernst genommen? Ich habe nicht das Gefühl, als passe er nicht zu uns, sondern eher: Wir passen nicht zu ihm, wenn wir wirklich SEINE Kirche sein wollen. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir uns wieder von ihm stören und aus der Ruhe bringen lassen. Viel zu bequem haben wir es uns in unseren Dogmen und in unserer Kirche gemacht. Wir haben seine Botschaft, die frohe Botschaft Jesu in Formeln eingesperrt, in denen sie ihre Kraft gar nicht mehr entfalten kann. Wo ist denn bei uns noch etwas von der Freiheit zu spüren, die er vorgelebt hat? Wo ist etwas zu spüren von dem Feuer der Liebe, welches er auf diese Erde geworfen hat? Und nicht zuletzt: Wo ist denn etwas zu sehen und zu fühlen von der Begeisterung, mit der er den Menschen von der Liebe und der neuen Welt Gottes erzählt hat? Nein – wenn wir etwas brauchen, dann sind es seine Anstöße, seine Impulse, um uns als Kirche Jesu Christi zu erneuern. Ich flehe euch an: Gebt ihm eine Chance…“
An dieser Stelle blende ich mich mal aus der fiktiven Gesprächsrunde im Vatikan aus und frage mich: Hat dieser provozierende Jesus wirklich einen Platz in dieser, in seiner Kirche? Geht es ihm in seiner neuen Heimat, in seiner neuen Familie nicht genau so oder zumindest ähnlich wie bereits damals in Nazareth? Haben wir – die Amtskirche – aber auch wir – Sie und ich – den aufmüpfigen Jesus nicht einfach nur zum „lieben Heiland“ erklärt, der uns nicht gefährlich werden kann?
Und ich frage weiter und frage ganz bewusst mich selbst: Bringt sein prophetisches Reden und Handeln mich ganz persönlich noch aus der Ruhe? Hat Jesus, der Störenfried und Querdenker, bei mir eine echte Chance – oder blüht ihm da auch ein Nazareth – zwar moderner und jünger wie damals, aber schlussendlich kein Haar anders?
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Erstellt am: 08.07.2012 17:44 Uhr
