Andrea Bolz
Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!
Religion, Christentum, das ist doch was für Schwächlinge. Für die, die sich im Leben nicht zurecht finden, und deshalb eine Stütze brauchen. So ähnlich hat einst schon der große Religionskritiker Friedrich Nietzsche geurteilt. Und so denkt mancher heute auch noch. Gerade wenn er sich stark fühlt, reich, zufrieden, gesund. Was braucht man da in so einer Situation Glauben und Religion? So ganz falsch liegen die, die so denken, nicht, denn: Judentum wie Christentum sind Religionen, in denen schwache Menschen immer wieder einen besonderen Platz bekommen: So ein kleines Volk wie das Volk Israel, so ein kleiner Mann wie David werden von Gott auserwählt. Jesus geht auf die kleinen Leute zu, auf die Fischer, die Zöllner, die Sünder. Auf die eben, die ein gutes Wort nötig haben. „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“, sagt er. Für die Schwachen, wollte er besonders da sein, sie wollte er mit Gottes Hilfe trösten und aufbauen. Also: Das Christentum – doch schon immer eine Religion für die Schwachen, nicht für die Starken? Religion und gerade das Christentum haben tatsächlich eine Vorliebe für das Schwache. Aber nicht nur für kleine, schwache Leute. Sondern für das Schwache in jedem Menschen. Gerade auch in den starken Menschen. Denn Hand aufs Herz: Wer ist denn wirklich so stark, dass er nichts nötig hätte – weder die Religion noch sonst eine Hilfe, einen Trost? Wer ist wirklich so stark, dass er immer nur auf die Schwächlinge herabschauen kann? Dass er selbst nie merkt, dass ihm der Mut oder die Kräfte schwinden? Schwäche gehört zum Menschsein einfach dazu. Und sie hat auch etwas Gutes. Sie bringt uns zum Nachdenken. Zum Nachdenken darüber, wer wir sind und was wir brauchen. Es geht nicht darum, Schwächen oder Schwächlinge zu idealisieren. Sondern darum, zuzulassen, dass wir schwach sein dürfen. Stärke ist etwas Wunderbares, und es gibt ja, nebenbei gesagt – auch genug richtig starke Frauen und Männer im Christentum. Aber in jedem Starken steckt auch Schwäche. Und ich bin überzeugt: Es tut den Menschen gut, das anzuerkennen. Religion ist nicht nur was für Schwächlinge. Sondern für alle, die ab und zu mal schwach werden. Also – Für uns alle.
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Erstellt am: 14.07.2012 13:34 Uhr
