Kneipp-Therapie
Das von Pfarrer Sebastian KNEIPP (1821 – 1897) begründete Naturheilverfahren besteht länger als hundert Jahre und gewinnt immer noch an Bedeutung. Der Kneipp-Kurort Bad Wörishofen hat sich zu einem Weltbadeort entwickelt, und in unzähligen Naturheilpraxen werden Kneipp’sche Anwendungen verabreicht. Die Behandlungsmethode besteht vornehmlich darin, mit kaltem Wasser auf die Haut einzuwirken. Dadurch wird die Blutzirkulation gefördert, und zwar nicht allein in der Haut, sondern auch in tiefer gelegenen Körperzonen werden Vorgänge angeregt, wodurch es in manchen Fällen bei aussichtslos erscheinenden Krankheiten zu überraschenden Heilerfolgen kommt. Einen solchen Heilerfolg erlebte Sebastian Kneipp am eigenen Leibe. Während des Studiums in Dillingen erkrankte er an Lungentuberkulose, die damals als unheilbar galt. Es schien, daß er mitten im Semester abbrechen und sein Berufsziel, Priester zu werden, aufgeben mußte. Da fiel ihm der Neudruck einer hundert Jahre alten Broschüre über „Die Heilkraft frischen Wassers“ in die Hand, deren ärztlicher Verfasser, Johann Siegmund HAHN, dereinst Leibarzt des Polenkönigs Jan Sobieski gewesen war. Was er darin las, faszinierte ihn so sehr, daß er beschloß, den Ratschlägen Hahns zu folgen. Wochenlang stieg er abendlich in die eiskalte Donau und wärmte sich anschließend mit kilometerlangen Dauerläufen wieder auf. Als er sich nach einiger Zeit dem Arzt vorstellte, war seine Tuberkulose deutlich im Abklingen begriffen. Folglich blieb er bei der Therapie, und noch während des Studiums, das er selbstverständlich fortsetzt, befaßte er sich in München neben der Theologie mit Naturheilkunde, wobei die Anwendung kalten Wassers im Vordergrund seiner Interessen stand. Der Erfolg gab ihm Recht. Als Pfarrer Kneipp im Alter von 76 Jahren in Wörishofen starb, ergab eine fachärztliche Nachschau (Autopsie), die er noch zu Lebzeiten verfügt hatte, daß die Lungentuberkulose seiner Studienjahre vollständig ausgeheilt war.
Heute umfaßt die Kneipp-Therapie neben Wasseranwendungen, die nach wie vor den Kern der Methode ausmachen, auch Behandlungen mit Heilkräutern, Bewegungsübungen und das weite Feld der sogenannten Ordnungstherapie, die sich im Sinn der Ganzheitsmedizin auch der geistig-seelischen Bindungen im Körpergeschehen annimmt. Als Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung und ausgiebiger Forschung, stehen heute mehr als hundert Formen von Wasseranwendung bereit. Da die ausgeheilte Lungentuberkulose von Pfarrer Kneipp nach der Autopsie von 1897 außer Zweifel stand, war unwiderleglich bewiesen, daß selbst ein so hartnäckig therapieresistentes Leiden durch die Heilkraft des Wassers in Verbindung mit den Selbstheilungskräften des Körpers besiegt werden kann. Die inzwischen vertiefte Kenntnis über das Wesen der 1893 erstmals beschriebenen Head’schen Zonen (siehe Seite …) macht verständlich, weshalb Flächenreize, die mit verschiedenen Wassertemperaturen an bestimmten Hautbezirken gesetzt werden, in den dazu gehörenden Organsystemen zu heilsamen Umstimmungen führen, die manchmal sogar Heilung bedeuten. Auf dieser Erkenntnis beruhen die Kneipp’schen Güsse. Ihre Besonderheit liegt darin, daß die oben erwähnten Hautreize mit einem beinah drucklosen Wasserstrahl erzeugt werden (keine Brause), wie man ihn zu Lebzeiten Kneipps noch aus der Gießkanne fließen ließ. Als Voraussetzung für alle Güsse gilt normale Körpertemperatur des Patienten; er soll weder frösteln noch kalte Füße haben. Die Raumtemperatur ist dem angepaßt und Zugluft gibt es nicht. Bei kalten Güssen, die nicht länger als 40 bis 60 Sekunden dauern, beträgt die Wassertemperatur in der Regel 10°C bis 12 °C. Niemals wird ein Schreckeffekt angestrebt. Die Behandlung beginnt stets im Sinne vorsichtigen Einschleichens an weniger kälteempfindlichen Stellen. Es gibt Teilgüsse für einzelne Körperregionen (Knieguß, Schenkelguß) und Vollgüsse mit vielerlei Variationen, die dem Bedarf des Patienten angepaßt sind. Für Teil- oder Vollbäder entsprechen die Einrichtungen selbstverständlich dem heutigen Stande der Sanitärversorgung. Die Wassertemperatur kann nach Bedarf beliebig gewählt und verändert werden. Kalte Bäder (10°C – 12 °C) dauern bis zu 20 Sekunden, und warme Bäder (32°C – 40 °C) genießt man so lange man mag. Wenn die Therapie es erfordert, können mit den heute verfügbaren Mitteln auch Bäder mit langsam ansteigender Temperatur oder Wechselbäder problemlos arrangiert werden. Kneipp hat seine Wasseranwendungen, Güsse, Bäder, Waschungen und Wickel nie als Allheilmittel angepriesen. Der Naturheilkunde eng verbunden, machte er reichlich Gebrauch von Heilkräutern. Oft sprach er von „des Hergotts großer Apotheke“, aus der man sich nur in der rechten Weise zu bedienen brauche. Wo immer es ihm geraten erschien, empfahl er die Heilkraft von Kamille, Fenchel, Lindenblüten und all der anderen Pflanzen, die sich durch milde Heilwirkung auszeichnen und als Tee oder Kräuterpackung noch heute einen hohen Stellenwert in der Kneippkur besitzen. Als äußerst zählebig hat sich der von Pfarrer Kneipp nachdrücklich empfohlene Heublumensack erwiesen. Ein ländliches Volksheilmittel, vorwiegend gegen rheumatische Leiden geschätzt, das erst durch die Kneippkur allgemeine Verbreitung gefunden hat.
Was Heublumen sind? Die auf dem Heuboden zusammengekehrten Samen und Überreste von Wiesengräsern und Wildkräutern, die sich zwar zur Aussaat nicht eignen, aber wegen ihres Gehalts an ätherischen Ölen und sonstigen eingetrockneten Pflanzensäften, die durch Kochen aktiviert werden können, heilsame Wirkungen ausüben. Die Zahl der Heilpflanzen, die sich neben Wasseranwendungen in der Kneipp’schen Phytotherapie bewährt haben, ist so groß, daß nähere Beschreibungen den Umfang dieser Darstellung übersteigen. Zusammenfassend seinen jedoch die am häufigsten angewandten hier genannt: Herz- und Kreislaufleiden wurden je nach Diagnose und Befund mit Arnika, Lavendel, Rosmarin, Weißdorn oder Knoblauch behandelt. Bei Erkältungskrankheiten können Huflattich und Spitzwegerich, Linden- und Holunderblüten, aber auch Pfefferminze, Fenchel, Thymian, Schlüsselblume und Kamille heilsamen Einfluß ausüben. Erkrankungen des Verdauungstraktes reagieren günstig auf Salbei, Wermut, Tausengüldenkraut, Kümmel und Fenchel, aber unter günstigen Umständen können auch Kamille und Melisse schon Heilung bewirken. Bei Erkrankungen der Harnwege haben Birkenblätter, Brennessel, Goldrute, Hauhechelwurz, Schachtelhalm (Zinnkraut), Wachholderbeeren und Bärentraubenblätter sich bewährt. Schlafstörungen und allerlei Angstzuständen kann mit Baldrian, Hopfen, Melisse und Johanniskraut erfolgversprechend entgegengewirkt werden. Einzelne dieser Heilkräuter, zum Beispiel die Kamille, sind mit Hilfe der Chemotechnik auf ihre wirksamen Inhaltstoffe hin erforscht, und diese Substanzen stehen nun in „chemisch reiner Form“ als Standardpräparate zur Verfügung. Die Naturheilkunde sieht dies jedoch eher als ein Dauergeschenk an. Sie zieht es vor, pflanzliche Heilmittel nicht chemisch zerlegt oder gar synthetisch „nachgebaut“, sondern in der natürlichen Zusammensetzung anzuwenden.
Der in Kneippkuren integrierten Heilgymnastik kommt besondere Bedeutung zu, weil Wasseranwendungen Reize setzen, die im Sinn von Ganzkörperbehandlung durch Muskeltraining beantwortet und ausgeglichen werden sollen. Normalerweise wirkt Bewegungstherapie vorbeugend, aber sie fördert auch Erholung und Wiederherstellung. Nicht allein Herz und Kreislauf werden dadurch angeregt, auch das vegetative (dem Willen nicht unterworfene) Nervensystem, die innersekretorischen Drüsen und der gesamte Energiehaushalt profitieren davon. Wenn die Muskulatur, etwa berufsbedingt, einseitig oder nur wenig beansprucht war, erfolgt hier ein teilweiser Ausgleich. Kräftigere Durchblutung stärkt schlaff gewordenes Gewebe und alle inneren Organe beziehen über das Verbundnetz des Nervenkostüms ihren Gewinn an den Vorzügen, die der heilgymnastische Teil der Kur vermittelt. Dazu gehören, je nach Befinden und Vorliebe des Patienten, vielerlei herkömmliche Sportarten, wie Radfahren, Schwimmen, Skiwandern und Waldlauf, aber auch Boccia, Minigolf und Kegeln, um nur einige zu nennen. Bei älteren Menschen, die meist unter Durchblutungsstörungen leiden, wirkt sich die durch Bewegung erzielte Verbesserung der Muskulatur besonders vorteilhaft aus. Die heilgymnastischen Reize können nämlich im Rahmen der Kur so dosiert werden, daß der Patient niemals übermäßig angestrengt wird, aber andererseits seine körperliche Leistungsfähigkeit eine im Alter meist willkommene Steigerung erfährt. Für Herz und Blutkreislauf trifft sinngemäß dasselbe zu. Heilgymnastik trainiert immer auch das Herz, denn Anpassung an wohldosiert gesetzte Reize fördert seine Leistungskraft ebenso, wie jeden anderen Muskel. Ähnliches gilt für die wünschenswerte Verzögerung aller Vorgänge im Organismus, die unter dem Sammelbegriff „Altersabbau“ so manche Einschränkung der Lebensqualität mit sich bringen können.
Eine gänzlich andere Bedeutung als zu Lebzeiten Kneipps, kommt heute der Ernährung zu. Damals war die Unterernährung weiter Bevölkerungskreise ein Problem, das sich heute im umgekehrten Sinne darstellt. Dem naturgewollten Ablauf unserer Körperfunktionen steht Überernährung im Wege. Fast jeder Zweite bringt mehr auf die Waage als seiner Statur entspricht. Zu reichlicher Verzehr von Fett, Zucker und eiweißhaltiger Nahrung, unter weitgehendem Verzicht auf die notwendigen Ballaststoffe, bewirkt bei vielen eine tägliche Kalorienzufuhr, die selbst mit schwerster körperlicher Arbeit kaum zu verbrauchen ist. Dabei ist zu bedenken, daß fast jede Nahrung unbrauchbare Begleitstoffe enthält, die auf dem Verdauungswege oder über die Haut (Transpiration) ausgeschieden werden müssen. Bei beständiger Überernährung werden diese natürlichen Funktionen nachhaltig gestört, und allenthalben, zum Beispiel in Gelenken, entstehen Ablagerungen körperfremder Substanzen, die sich mit der Zeit schmerzhaft bemerkbar machen (Rheuma). Das Zuviel an Fett deponiert der Organismus an Körperstellen, wo es ihn am wenigsten stört, jedoch am auffälligsten in Erscheinung tritt. Überschüssiger Zucker wird zumeist in der Leber gespeichert, und am Ende ist der Körper mit einer Fülle von Depots belastet, die er wegen des täglichen Nachschubs niemals anzugreifen braucht. Infolge dieses Zustands kommt es, je nach Veranlagung des Patienten, nach und nach zu Verdauungsproblemen, Herz- und Kreislaufstörungen und vielerlei Gesundheitsschäden, die gegenwärtig als Zivilisationskrankheiten ernste Probleme aufwerfen.
Als Naturheilverfahren bietet sich die Kneipptherapie mit ihrer idealen Kombination von Wasseranwendungen, Heilpflanzen und Heilgymnastik bei den meisten dieser Krankheitszustände als eine seit mehr als hundert Jahren erfolgreiche Behandlungsmethode an, und ihre Empfehlungen hinsichtlich Ernährung und gesundheitsbewußter Lebensführung können ihn vielen Fällen auch vorbeugend wirken.
Auszug aus dem Buch „Der Darm – Basis der Gesundheit“ von J.B.V.
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Erstellt am: 23.01.2009 13:11 Uhr