Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis 2013 (01.09.)

L I: Sir 3, 17-18.20.28f / Ev.: Lk 14, 1.7-14
Schwestern und Brüder!
Manchmal werde ich den Eindruck nicht los, als sei Jesus wirklich mehr als ein moralisierender Spielverderber. Denken Sie doch einfach mal an die Evangelien der letzten Sonntage und legen Sie dann das eben gehörte noch dazu – kann da nicht ein solcher Eindruck entstehen?
Man muss sich das mal vorstellen: Da ist Jesus zum Essen eingeladen – noch dazu bei Leuten, mit denen er sowieso schon genug Ärger hat – und wieder einmal hat er nichts besseres zu tun, als den Pharisäern ganz gewaltig die Meinung zu sagen. Ausgerechnet am Sabbat! Ausgerechnet beim Essen; also beim gemeinsamen Mahl, was für die gläubigen Juden schon immer ein Stück himmlischen Hochzeitsmahles widerspiegelt. Ausgerechnet da kommt Jesus nun auf die glorreiche Idee, nicht nur die Tischordnung auf den Kopf, sondern auch noch die gesamte Gästeliste in Frage zu stellen. Muss man sich da aber wundern, wenn das Ganze irgendwann mal eskaliert? Dass die Leute irgendwann mal genug haben von diesem jungen Weltverbesserer aus Nazareth, der ohne mit der Wimper zu zucken ihre Welt- und Glaubensordnung auf den Kopf und dazu auch noch die Behauptung aufstellt, dies alles mit göttlicher Vollmacht zu tun?
Für die Pharisäer waren seine Worte damals eine einzige Provokation, und wenn ich ehrlich bin, dann schmeckt auch mir die Botschaft des heutigen Sonntags nicht wirklich. Dieses “wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden” geht auch mir nur schwerlich über die Lippen. Nicht nur, weil kein Politiker mit einer solchen Verhaltensweise Wahlen gewinnen könnte – ich bin ja keiner und von daher ist das für mich nicht relevant; und es geht mir auch nicht darum, dass ich mich selbst gerne in den Mittelpunkt des Geschehens stelle. Zumindest empfinde ich das so. Nein ich denke bei all dem viel mehr daran, wie viele Generationen doch mit genau solchen Worten getriezt und von Kirchenmännern klein gehalten worden sind. Wie viel falsch verstandene Demut und unerlöstes Christsein genau in dieser Aussage eben seine Wurzel hat. Deshalb tue ich mir schwer mit dem, was Jesus hier sagt und deshalb halte ich es auch für überzogen, was er hier bei diesem Mahl im Haus des Pharisäers von dem Gastgeber und den Gästen verlangt. Sich freiwillig auf den letzten Platz setzen, Leute einladen, mit denen ich nichts zu tun habe, geschweige denn, mit denen ich überhaupt etwas zu tun haben will … den Looser an der Straßenecke, der gar keine Lust zum arbeiten hat; den Dealer, der immer wieder neu Unglück über junge Menschen und deren Eltern bringt; die Horde unverschämt auftretender Kinder … all das kann er doch wohl nicht im Ernst meinen – oder doch?
Bei all diesen Gedanken taucht die Frage für mich auf: Wird Gott auf einmal zum Buchhalter oder Erfinder eines neuen Knigge, der streng nach Plan irgendwelche Tischkärtchen verteilt? Dabei war ich doch immer der Überzeugung: wenn ich etwas von der Botschaft Jesu und von dem, was er uns über Gott sagen wollte richtig verstanden und begriffen habe, dann kann genau das ja wohl nicht sein. Deshalb bitte ich Sie, mit mir nochmals auf den Evangelientext zu schauen, um so vielleicht dem besser auf die Spur zu kommen, was uns Jesus mit diesen Forderungen tatsächlich vermitteln will.
Schlage ich das eben gehörte Evangelium bei Lukas nach, dann fällt mir auf, dass in der Leseordnung unserer Liturgie ein paar Verse wegfallen – und zwar die Verse 2-6. Wieso und weshalb das so ist, kann ich Ihnen nicht sagen; ich weiß es schlicht und ergreifend nicht. Aber wichtig ist für mich die Tatsache, dass es sich hier um eine Heilungsgeschichte handelt. Da ist ein Mann, der an Wassersucht leidet und der in diesem Haus des Pharisäers plötzlich vor Jesus steht. Daraufhin fragt Jesus die Gesetzeslehrer, ob es denn nun am Sabbat erlaubt sei, einen Menschen zu heilen oder nicht. Die Lehrer geben keine Antwort und Jesus heilt den Mann. Dann fragt er die Schweiger: Wer von euch wird seinen Sohn oder seinen Ochsen, der in den Brunnen fällt, nicht herausziehen, auch wenn es Sabbat ist? Und er erlebt noch einmal, dass ihm die Gesetzeslehrer nicht antworten wollen oder auch nicht antworten können und einfach stumm bleiben.
Über so viel Herzensträgheit oder auch sture Gesetzesfrömmigkeit, die den Sabbat über den Menschen stellt, mögen Jesus wohl langsam aber sicher die sprichwörtlichen “Pferde durchgegangen sein”; denn als er nun sieht, wie die Miteingeladenen auf einmal ganz vehement die Ehrenplätze einnehmen, da hält er ihnen eben jene Standpauke, die unsere heutige Frohe Botschaft ist. Soweit also die wichtige Hintergrundinformation.
Nun wird uns also in diesem heutigen Evangelium einiges zugemutet, und dieses zuge-mut-et darf man dabei ruhig wörtlich verstehen. Es braucht nämlich Mut, gängige Gesellschaftsmuster zu durchbrechen. Es braucht Mut, etwas zu tun, was so niemand erwartet: sich bewusst hinten an zu stellen, freiwillig den Kürzeren zu ziehen… und zwar nicht aus falsch verstandener Demut oder dem Hintergedanken heraus, dass mich der Hausherr schon irgendwie aus meinem Aschenputtel-Dasein befreien und ins rechte Licht setzen wird. Es braucht auch Mut, dieser unserer Ellbogengesellschaft – dem Ringen um den besseren Platz, dem “Einander-ausstechen-müssen” – eine Absage zu erteilen, auszusteigen aus dem sich Messen und immer wieder neu Messen-Lassen an Leistung und Besitz.
Je öfter ich die Worte Jesu über die rechte Tischordnung lese, desto mehr kommt in mir der Verdacht auf, dass sich dahinter fast so etwas wie Ironie entdecken lässt. Mir scheint, als ob er denen, die ihn da beobachten, zeigen möchte, dass er sehr wohl weiß, wie man sich korrekt benimmt, dass aber bei Gott eben ganz andere Gesetze gelten. Da gibt es keine besseren Plätze, sondern viele Wohnungen. Mehrfach wehrt sich Jesus ja auch in den Evangelien gegen die Wunschvorstellung gewisser Jünger, in der Ewigkeit die Ehrenplätze neben ihm zugewiesen zu bekommen. Immer wieder zeigt er auf, dass an seinem Tisch viele – nein besser noch: alle ihren Platz finden und alle ihren Platz haben. Und er untermauert seine Botschaft von der überwältigenden Gastfreundschaft Gottes damit, dass er auch diejenigen zu Tisch bittet, die sonst Hausverbot haben und unerwünscht sind: nämlich Zöllner und Sünder. Allen bietet er Plätze an, ohne vorab irgendwelche Bedingungen zu stellen. Alle erfahren offene Arme vor aller Leistung und trotz aller Schuld.
Spüren wir, wie Jesus mit einer solchen Einstellung nicht nur die Festversammlung damals, sondern auch uns heute herausfordert? Was ist denn hier heute in San Telmo anders als es damals im Haus des angesehenen Pharisäers war? Schauen wir uns doch mal mit einem ehrlichen Blick um: Die gute Gesellschaft unter sich! Nur – genau das will Jesus nicht. Bei ihm gibt es keine Promis oder sogenannte No-Name-People; da gibt es keine Kengemeinde und daneben irgendwo die Fernstehenden. Alle Menschen haben die gleiche Würde und das gleiche Ansehen von Gott beschenkt bekommen. Und wir alle haben in seinem Reich der Liebe einen Platz sicher – müssen nicht zuerst darum ringen oder andere gar ausstechen. Jede und jeder ist Tochter oder Sohn Gottes – Menschen mit ein und derselben Würde.
Vielleicht ist es gerade diese Haltung Jesu, die uns Menschen einerseits immer wieder neu fasziniert und uns gleichzeitig doch auch aufs höchste provoziert. Provoziert deshalb, weil die von ihm propagierte Gerechtigkeit Gottes so ganz anders ist als unsere. Oder anders gesagt: Wir sind pikiert, weil Gott sich nicht von uns vorschreiben lässt, wo und wem gegenüber er sich barmherzig erweisen darf oder nicht und vor allem nicht in welchem Maß. Wir maßen uns an zu sagen, wer am Tisch Jesu Platz hat und wer nicht, und meinen dann damit den Willen Gottes zu erfüllen. Doch Gott lässt sich nicht von uns vorschreiben, wen er lieben darf und wen nicht. Und er braucht weder Gouvernanten noch Hilfssheriffs, um sein Reich Wirklichkeit werden zu lassen. Deshalb sagt mir das heutige Evangelium: Du hast das Spielchen um Ansehen und Macht doch gar nicht nötig – denn du bist bei Gott angesehen, bei keinem Geringeren. Er allein ist es doch, der uns – Ihnen und mir ein Ansehen verleiht, das nicht vergänglich ist – und das sollte uns genügen. Ja mehr noch, es sollte uns Ansporn sein, bei unseren Einladungen gegenüber anderen ihm nachzueifern und seine Sichtweise zu beherzigen. Amen.

Infos unter:

Erstellt am: 02.09.2013 19:17 Uhr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert