Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis 2013 (20.10.)

L I: Ex 17, 8-13 / Ev.: Lk 18, 1-8
Schwestern und Brüder!
Als die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren 2002 verstarb, da formulierte der Stockholmer Domprobst eine außergewöhnliche Fürbitte: „Lieber Gott, lass viele Mädchen und Frauen Pippi Langstrumpfs Stärke, den Mut von Ronja Räubertochter und die Wärme und Fürsorge von Madita übernehmen. Lass die Kinder von Bullerbü uns alle dazu bringen, dass wir das Kindliche in uns niemals verlieren. Lass die Brüder Löwenherz alle Kranken und Sterbenden trösten und lass Michel aus Lönneberga alle sonst so ernst wirkenden Männer ein bisschen mehr die Kunst lernen, Unfug zu treiben, ohne anderen zu schaden..“
Ich finde es zwar eine höchst eigenwillige Art, Gestalten aus Kinderbüchern zu Impulsgebern für unser tägliches Beten zu machen. Aber warum denn nicht? Ein Journalist schrieb daraufhin: „Im Beten, in der Verbindung zu Gott, ist die eigene Intimität angelegt. Das Gebet ist viel offener für den eigenen Weg, als die Kirchen dies uns oft lehren. Das Beten erlaubt keine Ausreden und wer betet, wird ein anderer. Ja, das Beten braucht einen Rest Kindlichkeit und Beharrlichkeit.“
Wie recht doch der Journalist mit dieser Aussage hat; das zeigen auch die heutigen Schrifttexte. Josua gewinnt in der Lesung den Kampf mit den Amalekitern um Wasserstellen und Weideplätze, weil Mose den ganzen Tag lang auf dem Berg die Hände zum Gebet erhoben hält, gestützt und – im wahrsten Sinne des Wortes – unter die Arme gegriffen von Aaron und einem weiteren Getreuen. Und die arme Witwe im Evangelium, die kommt nur deshalb zu ihrem Recht, weil sie dem Richter mit ihrer Quengelei buchstäblich auf die Nerven geht. Nach dem damaligen jüdischen Gesetz hatten Frauen vor Gericht ohne Mann keinerlei Klagerecht. Also muss sie sich als Witwe einen anderen Weg erkämpfen, was sie dann mit ihrer Beharrlichkeit auch erreicht. Und Jesus macht mit ihrem Verhalten deutlich: Wenn ihr Gott um etwas bittet, dann traut ihm bitteschön nicht weniger zu, als dem allzu bequemen Juristen in dieser Gleichniserzählung. Schließlich hat seine eigene Erfahrung ihm da recht gegeben. Wie vielen Kranken konnte er sagen: Dein Glaube hat dir geholfen. Und damit meint er in aller Regel das beständige Beten und Beharren darauf, dass Gott wirklich hilft.
Wenn es also im heutigen Evangelium heißt, dass wir mit dem Beten nicht nachlassen sollen, dann meint Jesus damit sicher nicht, dass wir möglichst viele vorgefertigte Gebete aufsagen sollen, wie man uns das früher oft eingetrichtert hat. Ich meine auch nicht, dass er damit zum Ausdruck bringen will, dass wir quasi täglich einen Leistungsnachweis führen müssten, wie oft und zu welcher Stunde wir uns im Gebet an Gott gewendet haben. Nein, ich glaube, dass mit Beten all das nicht gemeint ist. Im Gegenteil: Schon die Propheten haben ja immer wieder klar gestellt, dass Wortschwall und Kalkül dem Herrn ein Gräuel sind. Er lässt sich also nicht von Oberflächlichkeiten blenden, sondern Gott schaut aufs Herz. Genau das ist aber auch der Grund, weshalb Kirchgänger kein Monopol auf das Beten haben, sondern dieses den Glaubenden eher vor zu großer Selbstgefälligkeit bewahrt und gleichzeitig Suchenden eine Glaubensgewissheit schenken kann.
Beten heißt, wenn ich Jesus richtig verstanden habe: Nicht in erster Linie etwas zu tun, sondern vielmehr etwas zu sein; ein Vertrauter Gottes zu sein, mit ihm zu reden, auf ihn zu hören, auf ihn zu schauen und vor allem: sich von ihm anschauen zu lassen. Beten im Sinne Jesu ist also quasi wie
eine Schleife binden zwischen Gott und mir; eine Verbindung herstellen.
Bleibt nur die Frage: Will ich das überhaupt? Wenn ich zum Beispiel einen Menschen unbedingt sprechen will, dann werde ich ihn immer wieder anzurufen versuchen und wenn ich ihn nicht erreiche, spreche ich ihm eine Nachricht auf Band oder schicke ihm eine SMS oder versuche es so lange, bis ich die Person erreicht und mein Anliegen vorgebracht habe. Wenn ich allerdings gar kein Anliegen habe, dann werde ich es mir mit der Kontaktaufnahme zweimal überlegen und es mit Sicherheit über einen ersten Versuch hinaus nicht weiter probieren. Ähnlich ist es auch mit Menschen, zu denen mir Verbindungen wichtig sind. Wenn so eine Beziehung mal entstanden ist, dann möchte man ja auch, dass sie nicht wieder abreißt. Also werde ich – selbst wenn ich die Kommunikation nicht von Angesicht zu Angesicht pflegen kann – die Verbindung per Mail, Telefon oder Computer-Chat aufrecht erhalten. Ist der andere aber nicht mehr wichtig, dann wird diese Verbindung einschlafen. Neu ist diese Erkenntnis nicht: Wo das Gespräch zwischen Menschen nicht gepflegt wird, wo die Leitung zwischen Menschen tot ist, da ist das Beziehungsende absehbar.
Jesus will uns also deutlich machen: Betet und lasst nicht nach darin, so wie jene Witwe, die auch nicht locker gelassen hat, bis sie zu ihrem Recht kam. Das Verhalten dieser Frau als Vorbild für die Intensität unseres Betens zu nehmen, ich glaube, das ist auch „guten Christen“ nicht unbedingt geläufig. Denn: die einen haben ja nichts mehr zu erbitten, weil sie alles selbst machen; die anderen haben nichts mehr zu loben, höchstens sich selbst; wieder andere haben nichts zu danken, weil sie nichts geschenkt bekommen wollen – auch von Gott nicht und wieder andere haben keine Zeit zum Beten, weil sie so beansprucht sind und keinen Bedarf sehen. Und weil viele Menschen nicht mehr beten können, können viele auch nicht mehr glauben. Oder ist es umgekehrt? Beten die Leute nicht mehr, weil ihnen der Glaube fehlt? Beten und Glauben gehören zusammen. Indem ich bete, indem ich die Verbindung zu Gott herstelle wächst auch mein Glaube, mein Vertrauen an und in diesen Gott. Und je mehr das Vertrauen wächst, desto mehr werde ich auch wieder das Gespräch und die Nähe zu diesem Gott
suchen.
Jesu Jünger erfahren genau diese Einheit von Beten und Glauben bei ihrem Meister auf eine ganz faszinierende Weise. So bitten sie Ihn: Herr, lehre uns beten! Das Gleichnis von der Witwe und dem gottlosen Richter ist so eine Lektion Jesu über das Beten. Und als allererstes fällt auf, mit welcher Energie diese Frau ihr Anliegen verfolgt. Wer von uns betet schon mit solch einer Power? Haben wir nicht tief in uns drin die Vorstellung, Beten sei etwas ganz Sanftes, etwas vornehm Zurückhaltendes? In diesem Gleichnis sieht Jesus das anders: Da legt er einem einen höchst engagierten, offensiven und sogar aggressiven Gebetsstil nahe.
Achten wir doch mal auf unser eigenes Beten! Kann man aus der Art und Weise unseres Betens wirklich schließen, dass es uns um ein Herzensanliegen geht, für die wir notfalls “auf die Barrikaden gehen” würden? Entwickeln wir Phantasie in unserem Beten wie der eingangs erwähnte Domprobst? Wer kann denn Gott wirklich verübeln, wenn Er bei einem so lasch dahin gesagten Gebet – sagen wir es ruhig mal ganz menschlich – “die Ohren auf Durchzug stellt”? Wenn schon dieser hartgesottene und kaltherzige Richter vor der Frau kapituliert, weil er seine Ruhe haben möchte, um wie viel mehr wird dann Gott als der liebende Vater seine Gerechtigkeit und seine Barmherzigkeit denen zukommen lassen, die Ihn ähnlich engagiert bitten.
An diesem Punkt des Gleichnisses allerdings stockt Jesus allerdings und
unterbricht sich sozusagen selbst mit der sehr nachdenklichen und geradezu besorgten Frage: “Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?” Einen Glauben in dem Sinne, dass Menschen Gott „an-erkennen“? Dass Menschen Gott wirklich den Herrn über ihr Leben sein lassen? Einen Glauben in dem Sinne, dass Menschen sich die seine Sicht der Welt und seine Pläne mit ihr zu eigen machen? Glauben im Sinne von Vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint und ich deshalb gelassen und optimistisch leben kann? Einen Glauben, der mir die Kraft gibt, Gott und die Menschen zu lieben, mich zu ihm zu bekennen und daraus meine Nächsten zu lieben und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, so wie dieser armen Witwe im Evangelium? Was wäre denn, wenn die Ankunft Jesu jetzt geschähe? Was würde er momentan vorfinden?
Sicherlich viele Menschen, deren Weltanschauung mit dem Plan Gottes nichts zu tun hat. Er würde auch viele Menschen vorfinden, die gehetzt und gestresst sind, die sich ständig selbst überfordern und die vor allem keinen Gott mehr über sich dulden. Er würde auch Menschen vorfinden, die Gott gar nicht kennen, weil er im Leben ihrer Eltern und im Leben ihrer Mitmenschen keine Rolle mehr spielt. Menschen also, für die „Gott“ nur ein leeres Wort ohne nähere Bedeutung ist. Und er würde letztlich Menschen vorfinden, die keine Zeit haben – nicht mal im Urlaub. Menschen, die vergessen haben, dass Gott ihnen das Leben und die Zeit im Leben geschenkt hat. Deshalb sagen sie auch: Ich gehe dann zum Gottesdienst, wenn ich mal Zeit habe; ich bete dann, wenn ich das Bedürfnis habe. Der Mensch also ist der Maßstab und nicht Gott – und der Mensch merkt dabei gar nicht, wie er sich so zu seinem eigenen Herrgott macht.
Wird der Menschensohn noch Gauben vorfinden, wenn er wiederkommt? Wird er Menschen vorfinden, die die Verbindung zu ihm aufrecht erhalten? Menschen, die noch beten können? Was wird er bei Ihnen und mir vorfinden? Die Beantwortung dieser Frage liegt bei Ihnen und bei mir.

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Erstellt am: 21.10.2013 18:47 Uhr

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