Predigt zum 32. Sonntag im Jahreskreis 2013 (10.11.)

Lesung: 2 Thess 2,16 – 3,5 / Evangelium: Lk 20, 27-38
Schwestern und Brüder!
Märchen, das ist uns allen bekannt, sind Prosatexte die von wundersamen Begebenheiten erzählen. Die Botschaft Jesu von der grenzenlosen Liebe Gottes, die auch und gerade im Tod nicht halt macht, war nicht nur für die Menschen damals, sondern ist auch für viele Menschen heute – darunter übrigens auch sehr wohl Christen – oft nur so schwer zu glauben, dass sie auch viele nur als „Märchen“, als „wundersame Begebenheit“ ansehen. Gerade deshalb aber ist es mir ein Anliegen, uns anhand eines uns allen vertrauten Märchens, die Botschaft der vorhin gehörten Lesung näher zu bringen und vielleicht auch verständlicher zu machen. So verständlich, dass uns der Glaube an diese grenzenlose Liebe Gottes vielleicht einfach ein Stück leichter fällt.
„Schneewittchen und die sieben Zwerge“, kennen wir seit Kindertagen. Da wird von einer bösen Königin erzählt, die in regelmäßigen Abständen in den Spiegel schaut und dabei die Frage stellt: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ – Solange der Spiegel der Königin zu verstehen gibt, dass sie die Schönste sei, nimmt alles seinen normalen Gang. Als sie aber eines Tages zu hören bekommt, dass sie zwar die Schönste im Land sei, doch dass es hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen noch jemanden gebe, der viel schöner sei als sie, nimmt das Drama seinen Lauf. Die Königin versucht ihre Konkurrentin, in diesem Fall Schneewittchen, zu vernichten. Doch der vergiftete Apfel erfüllt nicht seinen Zweck, und am Ende geht dann für Schneewittchen und die sieben Zwerge alles gut aus.
Es stimmt schon: Der Blick in den Spiegel kann beträchtliche Folgen haben.
Vielleicht stellen wir dabei nicht gleich die Frage, ob wir die oder der
Schönste im Land seien. Aber es kann uns doch schon ein gewisses Unbehagen befallen, wenn wir uns da so selbst betrachten und nicht mehr zufrieden sind mit dem, was oder besser wer uns da aus dem Spiegel entgegenblickt. Mag sein, dass da manche – gerade in den Tagen des Urlaubs oder nach durchzechter Nacht – schon froh sind, bei diesem morgendlichen Blick überhaupt in den Spiegel schauen zu können, während andere mit hellwachen Augen hineinschauen und prüfen – neudeutsch würde man sagen „abscannen“ – ob ja alles in Ordnung ist, oder ob es da etwas gibt, was gerichtet, verschönert, geliftet oder überdeckt werden muss.
Nun gilt ja ein Blick in den Spiegel meist dem Aussehen. Aber neben diesem äußeren Blick gibt es da auch noch einen viel tiefer gehenden; jenen nämlich, mit dem man sich in seiner eigenen Existenz zu verstehen versucht. Was sind da die eigenen Wünsche und Absichten, die persönlichen Motive und Einstellungen, was hat man bislang getan bzw. was plant man für sich ganz persönlich. Und wenn man sich da so betrachtet und von sich sagen kann: „Ich kann beruhigt in den Spiegel schauen“, dann stellt sich im allgemeinen Erleichterung ein. Dann ist das Äußere nicht mehr so wichtig, sondern dann zählt die innere Zufriedenheit; man ist mit sich im Reinen und hat ein gutes Gewissen. Aus diesem Gefühl heraus können dann Kräfte erwachsen, das eigene Leben positiv zu gestalten, sich für andere und auch dafür einzusetzen, was einem wichtig ist. Schön, wenn wir solch positiven Erfahrungen schon gemacht haben.
Allerdings können wir nun auch nicht verschweigen, dass es mitunter Kratzer in unserem Spiegelbild gibt; ich meine damit Erfahrungen, Gesagtes oder Getanes, was uns reut und was wir lieber ungeschehen machen oder wegschminken würden. Vielleicht sind es auch Eigenschaften, Charakterzüge oder Äußerlichkeiten an uns, für die wir uns schämen oder die uns peinlich sind. Dann ist es gut möglich, dass wir andere voller Bewunderung bestaunen, aber eben vielleicht auch etwas neidisch beäugen, wie gut sie oder er es doch hat.
Die Psychologie hat in den letzten Jahrzehnten zutage gebracht: wenn wir so auf uns selbst schauen, dann sehen wir uns immer auch mit den Augen der anderen Menschen. So fließen die Einschätzungen und Bewertungen anderer über uns in all das mit ein, was andere uns über uns selbst widerspiegeln. Dementsprechend haben Erfahrungen in unserer Lebensgeschichte, oft schon von frühester Zeit an, Einfluss darauf, wie ich mich selbst sehe. Deshalb gibt es Menschen, die – ich sag’s jetzt mal salopp – einen „Freundlichen Spiegel“ an der Wand hängen haben, und andere, deren Spiegel für sie eine ziemliche Belastung darstellt. Was ich damit meine ist, dass manche von uns ja von Kindheit an mit Erwachsenen-Sätzen dergestalt zu kämpfen haben wie: „Du bist ein Dummkopf!“, „Du bist stinkfaul“, „Lass es bleiben, das schaffst Du doch sowieso niemals!“ Andere dagegen schöpfen eine immense Kraft aus dem ihnen geschenkten Zutrauen oder auch durch das hautnah erlebte Wohlwollen der Menschen, die ihre Entwicklung begleiten: „Du schaffst das schon!“ oder auch: „Ich trau Dir das zu!“ bis zu: „Wenn Du nicht weiter weißt, lass es mich wissen. Du kannst jederzeit zu mir kommen!“ So haben wir Menschen ganz unterschiedliche Erfahrungen und tragen dementsprechend auch recht unterschiedliches Lebensgepäck mit uns herum – mal eben mehr als Ballst, mal mit mehr Proviant im Rucksack.
Die Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher hat aber für uns etwas ganz Tröstliches parat. Da heißt es nämlich: Gott hat uns zuerst geliebt. Sicherlich: Wir hören im Gottesdienst häufig, dass Gott uns Menschen liebt und dass er uns zugewandt ist. Aber ich frage mich auch nicht selten, ob das wirklich bei uns ankommt? Ob wir uns davon wirklich in unseren Herzen berühren lassen? Manchmal ist das vielleicht wie ein flüchtiger Blick in den Spiegel – man sieht sich, aber nimmt sich nicht wirklich wahr; und so hört man zwar, dass Gott einen liebt, aber es erreicht nicht wirklich unser Innerstes.
Paulus ist ganz wichtig zu betonen, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat: „Jesus Christus, unser Herr und Gott, unser Vater, der uns seine Liebe zugewandt und uns in seiner Gnade ewigen Trost und gute Hoffnung geschenkt hat, tröste euch und gebe euch Kraft zu jedem guten Werk und Wort.“ Also: Die Liebe Gottes, die im Leben und Sterben Jesu deutlich geworden ist, geht allem voran. Sie ist jeder und jedem von uns zugesagt, ganz unabhängig von irgendwelchen Vorleistungen, Taten, Eigenschaften oder auch Charakterzügen. Oder anders gesagt: Gott bekundet gegenüber einem jedem Menschen seine Sympathie und schenkt uns gerade dadurch ein schier unglaubliches Ansehen – ja mehr noch: Er sagt uns zu, dass jede und jeder von uns in seinen Augen ohne Einschränkung liebes- und liebenswürdig ist.
Wenn wir damit aber ernst machen, dann werden wir spüren, dass diese Erfahrung, die wir in der Theologie auch Gnade nennen, Folgen für unser Leben und für unseren Alltag hat. Was wäre denn, wenn wir in unserem Umgang miteinander eben nicht das Schneewittchen hinter den sieben Bergen zu fürchten hätten, weil wir aus der Spirale des „Wer ist besser; wer ist schöner, wer ist liebenswerter“ endlich ausbrechen könnten? Weil wir nicht mehr überkritisch oder selbstabwertend mit uns selbst umgehen und das auch gegenüber anderen meinen praktizieren zu müssen? Dann könnten wir doch realistisch schauen, wo wir noch an uns arbeiten können, um gute Worte und Taten im Vertrauen darauf zu mehren, dass wir uns eben unsere Liebenswürdigkeit nicht erst verdienen müssen. Und wir könnten anderen Menschen und uns selbst dabei helfen, die guten Seiten zu fördern und Ungerechtigkeiten, Hartherzigkeiten und Lieblosigkeiten aus der Welt
zu schaffen.
Wenn es uns gelingt, diese Liebe Gottes in unserem Leben immer mehr anzunehmen, so Paulus, dann wird sich unser Leben verändern und dann verliert auch das, was uns bislang von seiner Liebe trennt und uns daran hindert, aus dieser Liebe zu leben, seine Macht über uns. Wenn wir die tiefe Erfahrung von Zufriedenheit und Zustimmung zu unserem eigenen Leben machen, dann scheint da etwas von dem auf, was Gottes Liebe in uns wirkt.
Nur – das ist gar nicht immer so einfach und manchmal fällt es uns äußerst schwer zu glauben, dass Gott mich grenzenlos sympathisch findet. Genau das aber ist unser christlicher Auferstehungsglaube. Er gibt mir die Gewissheit: Du brauchst nicht zu resignieren und mutlos zu werden, wenn dir das Leben aus der Liebe Gottes nicht vollkommen gelingt. Du darfst immer wieder neue Anläufe dazu unternehmen. Vertrau darauf: Gott hat mit dir noch etwas vor, das sich nicht von der Endlichkeit deines Lebens und deinen Grenzen zu lieben und Liebe anzunehmen beschränken lässt. Du darfst darauf vertrauen, dass du bei Gott diese Liebe ohne Einschränkung leben wirst, in einem Land, das in unserem Sinne keine Grenzen kennt.
Deshalb möchte ich mit einer Einladung an Sie alle enden: Schauen Sie sich beim nächsten Blick in den Spiegel bitte ganz bewusst an – und machen Sie den Versuch, sich einfach mal mit den unendlich liebenden Augen Gottes anzuschauen.

Infos unter:

Erstellt am: 11.11.2013 10:09 Uhr

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