Lesung: Jes 11, 1-10 / Evangelium: Mt 3, 1-12
Schwestern und Brüder!
Der schwäbische Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski hat vor ein paar Jahren einen vielbeachteten Artikel im SPIEGEL unter der Überschrift herausgebracht: „Und Gott ist doch nicht tot!“ Dabei hat er die These vertreten, dass das Christentum zwischenzeitlich von einer heißen zu einer kalten Religion verkommen sei, die sich nur noch auf das Diesseitige des Lebens einlasse. Unter einer heißen Religion verstehe er aber „eine Religion, die auf eine Erlösung von dieser Welt setzt…Für die heiße Religion bedeutet nämlich ein In-dieser-Welt-Sein nichts anderes, als In-der-falschen-Veran-staltung-Sein. Deshalb ist das Herzstück einer heißen Religion eben auch die Erlösung von genau dieser Welt.“
Nun ist die zentrale Figur des heutigen Evangeliums, Johannes der Täufer, zweifellos der Vertreter einer solch „heißen Religion“ wie Safranski sie beschreibt. Denn in dieser merkwürdig schroffen und asketisch daherkommenden Gestalt, da tritt uns ein Mann entgegen, der spürt und der auch bis in die letzten Fasern seiner Existenz hinein erfahren hat: Mein Leben wird dann reich, wenn ich es bedingungslos Gott zur Verfügung stelle; wenn ich die Menschen daran erinnere, worauf es letztlich ankommt; wenn ich ganz die „Stimme“ meines Herrn bin. Genau so, wie ein Frank Sinatra wegen seiner dahin schmelzenden Stimme nur „the voice“ genannt wurde, so könnten wir auch Johannes den Täufer in etwa so charakterisieren: Er ist die adventliche Stimme schlechthin, von der es schon beim Propheten Jesaja heißt: „Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg!“ Nur weil Johannes diese Gottverbundenheit in sich trug und sie an andere weitergeben wollte, klang seine Bußpredigt so radikal und unerbittlich: „Ihr Schlangenbrut…“ Dazu noch das von ihm gebrauchte Bild, das einen selber trifft wie einen Hieb: „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“
Allerdings missverstehen wir den Täufer ganz gewaltig, wenn wir in ihm nur den dreinschlagenden Bußprediger sehen, den unnachsichtigen Gerichtspropheten, dessen Ziel es einzig und allein ist, uns „die Hölle heiß zu machen“. Vielmehr kommen diese schrillen Töne aus dieser, seiner leidenschaftlichen Überzeugung heraus die besagt: Wir Menschen verfehlen unser Leben, es bleibt arm und wird krank, wenn wir uns nicht mit allen Konsequenzen für Gott entscheiden und ihm den ersten Platz in unserem Leben einräumen. Eine Moralpredigt in Vollendung. Nur, das wissen wir alle selbst, eine Moralpredigt allein, die bleibt zu sehr an der Oberfläche und bewirkt allenfalls ein schlechtes Gewissen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wirklich verändern aber kann und tut sie nicht wirklich.
Deshalb finde ich es auch nicht gut, dass viele Christen das Evangelium nur als eine solch reine Moralpredigt verstehen. Ich halte das sogar für eine sehr gefährliche Schlagseite, eine Vereinseitigung, die leider Gottes lange genug von der Kirche selbst betrieben wurde und auch in so manchen Verlautbarungen bis auf den heutigen Tag zu beobachten ist. Wirklich wohltuend unterscheidet sich davon jetzt allerdings das apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ von Papst Franziskus, welches er am 24. November zum Abschluss des „Jahres des Glaubens“ veröffentlicht hat. Es bringt eine ganz neue und andere Sichtweise ins Spiel, auf die ich später noch eingehen möchte. Aber deutlich wird für mich durch dieses Schreiben, dass Franziskus vielmehr auf die Sichtweise Jesu, als auf die des Täufers eingeht. Denn Jesus überbietet die Forderung des Johannes, in dem er nicht nur zur Umkehr, sondern zum Glauben aufruft: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“, wie es beim Evangelisten Markus heißt. Mit diesen Worten beginnt Jesus bei ihm sein öffentliches Wirken. Nun können natürlich manche zu Recht sagen: Aber Jesus predigt doch auch die Umkehr – und diese Erkenntnis ist alles andere als fasch. Nur: bei ihm ist diese Umkehr die Antwort des Menschenauf die Hinkehr, also die Hinwendung Gottes zu uns. Weil das Reich Gottes nahe ist; weil Gott sich längst auf den Weg zu uns Menschen gemacht hat, genau deshalb soll der Mensch bzw. kann der Mensch seinem Leben eine andere Richtung geben. Oder anders gesagt: Für Johannes ist die Umkehr die Voraussetzung dafür, dass Gott sich uns zuwendet; für Jesus dagegen ist die Umkehr die Konsequenz, die seine Jünger aus dem Glauben an die Nähe Gottes ziehen sollen. Das ist aber ein gewaltiger Unterschied – meinen Sie nicht auch?
Kommen wir aber noch einmal auf den eingangs erwähnten Vorwurf des Philosophen Safranski zurück, dass das Christentum eine kalte Religion geworden sei, weil es sich nur noch um das diesseitige des Lebens kümmere. Dabei macht er der Kirche und uns Christen den Vorwurf, dass uns der wirkliche Gottesbezug verloren gegangen wäre und das Christentum nur noch aus einem Gemisch von Sozialethik, Psychotherapie, Meditationstechnik und Sozialarbeit bestehen würde. Übrigens ein Vorwurf, den auch katholische Hardliner in Form der Priesterbruderschaft Pius X. und andere dem heutigen Papst in derselben Form machen. Nur macht dieser – wie vielleicht keiner seiner Vorgänger – in dieser Eindeutigkeit deutlich, dass die christliche Wahrheit das ganze Leben erfassen und verwandeln will. Bei ihm gibt es keine Trennung der Wertsphären, sondern bei seiner Sichtweise geht es ihm – wie Jesus – ums Ganze, sowohl beim Glauben an Gott, als auch bei der Umsetzung dessen, was die frohe Botschaft Gottes für uns Menschen sein will.
Deshalb nennt Franziskus sein Apostolisches Schreiben auch die „Freude
des Evangeliums“. Und darin sagt er wörtlich, dass ihm eine „verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen und auf die Menschen zu gegangen ist, viel lieber sei als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und Bequemlichkeit krank geworden ist.“ Zurzeit Jesu war die Freude am Religiösen wegen der vielen Vorschriften und Bedingungen ähnlich armselig geworden wie heute. Gerade deshalb aber haben die Menschen sich förmlich nach einer Botschaft gesehnt, die ihnen die Freude am Glauben und somit auch den Glauben an Gott selbst wieder schmackhaft macht und zurückbringt. Sie wollten wieder – und da greife ich gerne ein Bild von Johannes auf – „brennen“ und begeistert sein für diesen Gott, der sie auf dem langen Weg der Geschichte Israels als ein Gott begleitet hat, der für sie da ist und für sie einsteht.
Eine solche Begeisterung will auch Papst Franziskus wieder in unserer Kirche, im gesamten Christentum wecken; wir sollen wieder eine „heiße Religion“ werden, die sich allerdings nicht zurückzieht und allein Gott im Gebet huldigt, sondern die in und wegen ihrer engen Gottverbundenheit diese Welt verändern und neu gestalten kann. Eine Religion die lernt, neu auf die Menschen zuzugehen, um ihnen die Liebe Gottes näher zu bringen und zu verdeutlichen. Diese Liebe aber wird von den Menschen ganz unterschiedlich erfahren und deshalb ist es für mich auch eine befreiende Feststellung, wenn Papst Franziskus zitiert, was Johannes XXIII. bei der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils hervorgehoben hatte: „Die Ausdrucksform der Wahrheit kann sehr vielgestaltig und vielschichtig sein. Doch die Erneuerung dieser Ausdrucksformen erweist sich als notwendig, um die Botschaft vom Evangelium in ihrer unwandelbaren Bedeutung an den heutigen Menschen weiterzugeben.“
Genau das, was der unvergessliche Konzilspapst wollte, wurde nach sei-
nem Tod aber schnell wieder unter den Tisch gekehrt. Begriffe wie Barm
herzigkeit oder auch Freiheit und Liebe wurden argwöhnisch von den Glaubenshütern beobachtet und vielfach reglementiert, wenn wir an das Berufsverbot – sprich den Entzug der Lehrerlaubnis oder des Priesteramtes – so mancher Theologen denken. Doch Franziskus sagt heute: „Jesus Christus kann und will auch die langweiligen Schablonen durchbrechen, in denen wir uns oft anmaßen, ihn gefangen zu halten.“ Und noch deutlicher sagt er: „Jedes Mal, wenn wir versuchen zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen für die Welt von heute auf.“ Genau das also, was der Papst anbietet: Suche nach neuen Wegen, kreative Methoden, aussagekräftige Zeichen, all das war bislang – gelinde gesagt – verdächtig, wenn nicht gar ketzerisch und häretisch. Und das Interessante dabei: Diese neuen Wege, Methoden und Zeichen betet uns der Papst jetzt nicht etwa vor, sondern er überlässt sie uns. Wir alle sind nach seiner Auffassung gefordert, adventliche Menschen zu werden und zu zeigen, was wir in unserem Glauben verstanden haben und wie wir ihn leben wollen. Nicht starre Katechismussätze sind gefragt, sondern lebendige Christen und lebendige Gemeinden.
Das Schreiben des Papstes an uns Katholiken, ja an alle Christen in der Welt, erscheint mir wie ein großes Hoffnungszeichen: Wir werden darin bestärkt, unseren Glauben aus der privaten Frömmigkeit herauszuholen und uns vom Feuer des Evangeliums anstecken zu lassen. Denn wo das Evangelium gelebt wird, da ist Jesus drin – das allein zählt und das macht aus einer kalten vielleicht nicht unbedingt gleich eine heiße, aber doch zumindest eine wärmend-wohltuende Religion in dieser Zeit. Amen.
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Erstellt am: 09.12.2013 18:36 Uhr