L I: Apg 6, 8-10; 7, 54-60 / Ev.: Mt 10, 17-22
Schwestern und Brüder!
Man fragt sich ja bisweilen wirklich: Muss das denn sein? Müssen wir am Tag nach Weihnachten bereits wieder solche Mordgeschichten anhören – oder sollten wir besser sagen: Über uns ergehen lassen? Da haben wir gerade noch die Botschaft der Engel mit dem Frieden auf Erden und das stille Nacht, heilige Nacht im Ohr – und dann diese – für uns aus den Zeilen der Lesung fast hörbaren Schreie der Menschen, die Stephanus ablehnen. Immer dieser Fundamentalismus, immer diese religiösen Wahnsinnstaten.
Der spanische Jesuit und Menschenrechtsaktivist Luis Espinál Camps, der über viele Jahre in Bolivien als Seelsorger tätig war, schrieb 1980 in einem seiner Texte: „Wir wollen keine Märtyrer“. Nur wenige Tage später wurde er einer. Und weshalb? Weil er lautstark und öffentlich Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in seiner Wahlheimat geübt, sowie der staatlichen Willkür und Unterdrückung, die dort in dieser Zeit anzutreffen war, getrotzt hat. Daraufhin wurde Espinál von Militärs entführt, gefoltert und im Alter von 48 Jahren ermordet. „Wir wollen keine Märtyrer“, sagte er und führte weiter dazu aus: „Das Land braucht keine Märtyrer, sondern Bauleute.“ Espinál lehnt das Märtyrerhafte deshalb ab, weil er in seinen Texten die Überzeugung kundtut, dass demjenigen, der zum Märtyrer wird, es manchmal gar nicht um die Sache, sondern nur um sich selbst geht – ganz nach der Einstellung: „Wenn ich schon nicht siegen kann, dann möchte ich wenigstens in der Niederlage auffallen.“
Solche falschen Märtyrer kennen wir alle auch aus anderen Religionen. Menschen, die sich regelrecht zum Martyrium drängen und dabei ganz gezielt unschuldige Menschen mit in den Tod reißen. Menschen, die es darauf anlegen, ja negativ aufzufallen, um auf sich und auf die Sache, die sie vertreten, aufmerksam zu machen. Ja, es sind Menschen, die – das kann man durchaus so sagen – anscheinend froh sind, wenn alle gegen sie sind. Ich möchte jetzt aber nicht nur auf Strömungen und Ideologien in andere Religionen mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger deuten, sondern mir fällt dazu auch ein nicht unumstrittener Schweizer Bischof ein, der nach seiner Ernennung vor der Presse sagte: „Die Ablehnung einzelner Bevölkerungskreise und modernistischer Katholiken beweist doch nur, dass Gott auf meiner Seite steht.“ Also ich kann ob einer solchen Selbstbeweihräucherung nur den Kopf schütteln – und: sie erinnert mich an einen Geisterfahrer, der der felsenfesten Überzeugung ist, dass sich alle anderen auf der falschen Fahrspur befinden, nur er selber nicht. Ja, manchmal sind Menschen, die sich für Märtyrer halten, einfach nur solch gefährlichen Geisterfahrer für die Menschheit.
Schauen wir aber wieder auf Stephanus. Dieser erste, der vielen Märtyrer in der Nachfolge Jesu, wie müssen wir ihn einordnen? Auch als einen Geisterfahrer oder einen Querulanten? Als einen, der es ganz bewusst darauf angelegt hat aufzufallen und in der Niederlage auf sich aufmerksam zu machen? Einer, der erst zufrieden ist, wenn er alle gegen sich aufgehetzt hat? Vielleicht haben Sie, wenn Sie ehrlich sind, beim Hören der Lesung auch gedacht: „Hallo?! Muss er denn in dieser Situation so arrogant auftreten? Muss er es wieder bis zum Äußersten treiben nach dem Motto: Allein gegen alle?“ Aber vergessen wir nicht: der Text der vorhin gehörten Lesung ist ja nur ein kleiner Ausschnitt. In der vollständigen Geschichte der Bibel zeigt sich durchaus, wie Stephanus mit viel „Geduld und Spucke“ versucht, seinen Zeit- und Glaubensgenossen die Glaubwürdigkeit der Botschaft Jesu zu vermitteln. Dabei benutzt er Argumente, die an die Wurzeln der jüdischen Glaubenstradition appellieren. Mir wird da deutlich, dass Stephanus nicht als Besserwisser dastehen will, sondern er kämpft um den Glauben
und auch die Überzeugung seiner Zuhörer. Weil er selbst von Jesus und
dem, was er gelehrt und gesagt hat, zutiefst überzeugt ist, ist er eben auch sicher, dass seinen Zuhörern doch nichts Besseres passieren kann, als genau an diesen Jesus zu glauben.
So wirkt das Fest des Stephanus auf mich wie eine eiskalte Dusche mitten in der Gemütlichkeit unserer Weihnachtsstimmung. Eine kalte Dusche aber ernüchtert und kann deshalb auch heilsam und befreiend sein. Uns allen ist bewusst: Die Krippe hier ist der Ort, wo eine immense Hoffnung zur Welt gekommen, an dem das Licht der Welt geboren ist. Aber es ist eben auch der Ort der Entscheidung, an der jede und jeder von uns sich fragen muss: Du, bist Du bereit, dem Kind in der Krippe nachzufolgen? Auch dann, wenn die Kerzen an den Weihnachtsbäumen schon längst erloschen sind? Auch dann, wenn es für Dich ungemütlich wird, wenn Du wegen Deines Glaubens angefragt, belächelt oder auch blöd angemacht wirst? Du Mensch, der Du vor der Krippe stehst: Möchtest Du Dich lieber mit einer oberflächlichen Beziehung zu Jesus begnügen – ganz frei nach der Devise: Ob‘s was nutzt weiß ich nicht, aber schaden kann es ja nicht? Oder bist Du noch Christ, weil Du einfach in eine Tradition hineingeboren bist, die Dich aber im Tiefsten Deines Herzens und Deines Lebens nur wenig berührt?
Stephanus und die ersten Christen, wurden von ihren Zeitgenossen oft als Mitglieder „des neuen Weges“ bezeichnet, weil sie aufgefallen sind. Sie waren anders, mitunter auch unbequem. Sie wollten nicht nur ein gesetzlich geregeltes und überwachtes Glaubensleben führen, sondern sie suchten und lebten die Freiheit, die Jesus vorgelebt hat. Sowohl die Freiheit in der Liebe, in der Hingabe zu den Menschen, als auch in einem lebendigen Miteinander. Und so wurden sie natürlich für manche auch unbequem, denn dieses – ihr Leben – stellte Andere in Frage, stellte deren Ordnungen und Gesetze in Frage. Aber sie blieben sich und sie blieben der Botschaft Jesu treu. Das führte natürlich zu Konfrontationen mit der religiösen Obrigkeit. Aber bei allem Widerstand, den sie leisteten, suchten sich nicht primär den Tod oder zogen andere ins Unglück und sie brachten schon gar nicht Tod und Verderben über sie.
Der neue Weg, dieses Christsein in seinem Ursprung, war für die Gesellschaft mitunter wie Dynamit. Es stellte alte Formen und verfahrene Wege in Frage und zeigte neue Lebensmodelle auf. In der Gemeinschaft der Menschen damals, war für sie alle die Gegenwart Gottes, seine lebendige Liebe, spürbar. Und aus dieser heraus zogen sie die entsprechenden Schlussfolgerungen für ihr Christsein: Umkehr von allem, was mich von der Liebe Gottes trennt; Vergebung für die, die einem das Leben schwer machen; andere so sein lassen, wie sie sind und sich selbst immer wieder verändern lassen von der Kraft des Geistes Gottes in der Botschaft Jesu. Wie aber sollen wir heute die Einheit spüren, wenn wir gar nicht mehr über unseren Glauben sprechen? Wie sollen wir einander lieben, wenn wir so wenig voneinander wissen und so wenig miteinander sprechen? Wie sollen wir Kirche bilden und eins sein, wenn wir nicht in Frage stellen, was uns anscheinend schon lange nicht mehr begeistert?
Die Herrlichkeit Gottes werden wir kaum finden, wenn nur jede und jeder nach seiner Facon in dieser Welt selig werden will. Die Herrlichkeit Gottes schauen, das hängt nicht mit fanatischem Anders-Sein zusammen und das geschieht auch nicht, wenn wir uns zu sich-selbst-bemitleidenden Christen und Schwerenötern machen, die unter der Last des Glaubens- oder auch des Glaubensverlustes zusammenbrechen. Nein, die Herrlichkeit Gottes wird dort für uns offenbar, wo wir geschwisterliche Wege miteinander gehen, wo wir geistliche Wege suchen, die Menschen ein- und nicht ausschließen, und wo wir uns auf den Geist Gottes einlassen und riskieren, die Kirche und unsere Gemeinschaft so umzugestalten, dass wir zu einem neuen Weg werden, der von den Menschen wieder wahrgenommen wird, weil er überzeugende Christen hervorbringt. Wenn wir es nicht wagen, uns auf Neues einzulassen, dann werden wir uns bald nur noch als ein Häuflein resignierender Christen erfahren, das in der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen wird. Dagegen werden dann Fanatiker ins Blickfeld rücken, die vielleicht nicht mit Steinen töten, aber mit Worten verurteilen und mundtot machen.
Erinnern Sie sich an den Satz von Espinal? „Wir brauchen keine Märtyrer“. Aber was wir brauchen sind Christen, die ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen zu ihrem Glauben stehen, damit die Botschaft des Kindes in der Krippe auch heute gehört und gelebt wird. Amen.
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Erstellt am: 28.12.2013 15:41 Uhr