HEBRÄERBRIEF 12 IN AUSWAHL
12 Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie
13 und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.
14 Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird,
15 und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden;
16 dass nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte.
17 Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.
23 Und ihr seid gekommen als Gemeinde
24 zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus. Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da zu euch vom Himmel redet.
Bilder sprechen oft für sich, liebe Gemeinde!
Du stehst aber auf wackeligen Beinen, so sagen wir einem Menschen, der einen mühevollen, schwankenden Gang hat. Die Knie sind im Laufe der Jahre weich geworden. Kraftvolles Ausschreiten und ein sicherer Tritt sind kaum noch möglich. Das war einmal. Der Zahn der Zeit hat an den Gelenken genagt. Das Gleichgewicht ist schwer zu halten. In solchen Fällen ist die Gefahr des Sturzes ganz nah. Und manchmal kann sie nur mühsam vermieden werden.
Kluge Leute nehmen in solchen Fällen Gehhilfen in Anspruch. Ein Handstock kann Schlimmes verhüten oder sogar ein Rollator. Ich kenne Menschen, denen dazu geraten wurde. Aber sie wehren sich oft dagegen. Ich schaff das schon noch, bis zum 1. Sturz. Danach werden manche erst klug
Hände können müde werden. Die Tatkraft erlahmt mit der Zeit. Alte Hände, die viel gearbeitet haben, zeigen oft leichte oder auch stärkere Verkrümmungen, können nicht mehr richtig fassen. Manches gleitet dann im wahrsten Sinne des Wortes durch die Finger. Müde Hände, eigentlich kein schönes Bild, können nicht mehr fest zugreifen. Drückt man sie bei der Begrüßung auch nur ein wenig zu stark, dann zeigt sich ein schmerzverzerrtes Gesicht. Müde Hände können schmerzen, oft nicht zu knapp.
Kommt nun beides zusammen, müde Hände und wankende Knie, dann ist das Defizit schon enorm. Mutiges Voranschreiten und kraftvolles Zupacken sind nur noch sehr eingeschränkt möglich. Das Leben hat Minderung erfahren. Und vielen fällt es schwer, einfach sitzen zu bleiben und die Hände in den Schoß zu legen.
Auch losgelöst von Personen kann das biblische Bild von Bedeutung sein. Die Sache steht auf wackeligen Beinen, sagen wir manchmal. Und dann meinen wir damit, dass das Fundament, die Basis, nicht in Ordnung ist. Das kann so sein auf ideellem Gebiet, zum Beispiel bei der Gestaltung einer Beziehung, oder auf materiellem bei der Errichtung eines Bauwerkes oder auf finanziellem, wenn es um den Aufbau eines Geschäftes geht. Wacklige Beine, unsicherer Untergrund, zu wenig Geld oder kein Konsens. Der Einbruch ist vorauszusehen, das Scheitern kündigt sich an.
Und das alles, liebe Gemeinde, gibt es nun anscheinend auch in der Kirche, dem Volk Gottes oder einer Gemeinde, je nachdem wie weit wir unseren Horizont spannen oder unser Blick gerade reicht.
Was hilft? Kräfte müssen her oder neu gewonnen werden. Hilfe, die Mangel ausgleicht, ist gefragt.
Manchmal – Gott sei es geklagt – geschieht ja leider das Gegenteil. Da wird einem Wankenden der letzte Stoß gegeben. Da wird die eh schon schwache Basis brutal unter den Füßen weggezogen. Da werden müde gewordene Hände nicht mehr beachtet oder sogar weggestoßen. In der christlichen Gemeinde haben solche Verhaltensweisen keinen Platz, oder sollten zumindest keinen Platz haben. Auf jeden Fall, so sagt der Schreiber unseres Bibelwortes, ist Hilfe angesagt und sonst nichts. Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.
Es kann Gesundung geben, Wiederherstellung verloren gegangener Kompetenzen, Gewinnung neuer Kräfte und Stabilität. Ja, das ist wohl das Gegenteil von festzustellendem Hin – und Herwanken und der Unfähigkeit zuzupacken: Stabilität. Und die kann gewonnen werden in der Gemeinschaft derer, die sich auf die Kraft Gottes, seinen guten Geist besinnen. Und die dann einander solche Kräfte zusprechen, sich ermutigen und helfen, Defizite auszugleichen.
Aber wie kann es eigentlich überhaupt so weit kommen, dass die geistlichen Kräfte erlahmen? Denn um solche Kräfte geht es ja dem Schreiber des Hebräerbriefes.
Er gebraucht dafür den Begriff einer bitteren Wurzel, aus der Unfrieden wächst. Und dann führt er ein Beispiel aus dem Alten Testament an, was er darunter versteht. Wir kennen vielleicht die Geschichte von Jakob und Esau, den beiden Söhnen des alten Stammvaters Isaak.
Eigentlich gehörte der besondere Segen des Vaters dem ältesten Sohn, also Esau. Der aber verkaufte sein Erstgeburtsrecht auf leichtfertige Weise an den zweitgeborenen mit Namen Jakob gegen das berühmt gewordene Linsengericht. Später tut ihm die ganze Sache leid, aber es gibt kein Zurück mehr. Der besondere Segen liegt nun bei Jakob. Esau, der an seiner Misere ja selbst die Schuld trägt, beschließt sogar, seinen Bruder umzubringen. Der muss fliehen, findet in der Ferne sein Glück, sowohl familiär als wirtschaftlich. Sein Leben steht auf sicheren Beinen. Mit gutem Willen und vielen Geschenken versucht Jakob eine Versöhnung mit dem Bruder. Die aber kommt nur bruchstückhaft zustande.
Es bleibt der Rest dieser bitteren Wurzel des Streites um die Vormachtstellung in der Sippe. Am Ende steht die Trennung. In der Tradition des Jakob, der wahrlich kein lupenreiner Heiliger ist, wird der Segen Gottes, vermittelt durch den Vater Isaak sichtbar. Über dem Leben des Esau bleibt ein fluchhaftes Schicksal zu spüren.
Bittere Wurzel. Kurzfristige Habsucht, schneller Genuss. Darauf ruht kein Segen. Wir können, ja, in der Sicht des Hebräerbriefes müssen wir es im übertragenen Sinn deuten:
In der christlichen Gemeinde sollen diese Verhaltensweisen keinen Raum haben. Sie können die Ursache sein für wankende Knie und müde Hände. Die Kräfte, die dem Aufbau der Gemeinde dienen sollten, werden aufgebraucht im Kleinkrieg und bessere Stellung, Ansehen, ja, Bedeutung für die Weitergabe des Glaubens. Es gibt in der Tat solches Verhalten in der Kirche oder der Ortsgemeinde. Wer hat den rechten Glauben? Wer tut das Richtige aus christlicher Tradition und wer hat die nötige kirchliche Erfahrung und wer nicht? Wer ist wofür geeignet, und wer nicht? Solches Fragen und ein daraus resultierendes Handeln hat wohl in der Gemeinde, an die sich der Hebräerbrief wendet, breiten Raum eingenommen. Und es hat wohl auch zu Trennungen und Auseinandersetzungen geführt. Nur in der Gemeinde damals? Der Schreiber des Hebräerbriefes warnt in jedem Fall ausdrücklich davor.
Vergeudet Eure Kräfte nicht im Kleinkrieg um Bedeutsamkeit. Investiert keine Ressourcen im Streit um die Rangordnung. Nehmt den Segen Gottes ernst, seine Zuwendung, seine Treue und Gnade. Damit macht man um Gottes und der Gemeinde willen keine Geschäfte. Sprecht einander nicht die Gotteskindschaft ab, sondern begnügt euch damit, was euch an Gaben und Möglichkeiten gegeben ist.
Der Streit zwischen Jakob und Esau ist ein deutliches Zeichen, wie viel Leid und Kummer daraus erwachsen kann. Der eine muss sich vor dem andern verbergen. Der andere muss aus Angst Überlebensstrategien entwickeln. Ja, Familienangehörige werden in die Auseinandersetzung hineingezogen und leiden mit. Als Jakob dem Bruder Esau entgegengeht teilt er sowohl seine Herde als seine Familie in zwei Gruppen ein. So kann bei einem Angriff des Esau wenigstens eine Hälfte entkommen. So weit kommt es bei den beiden, Gott sei Dank, nicht. Am Ende steht dennoch die Trennung. Diese bittere Wurzel befördert bei Jakob und Esau eine lange Geschichte, angefüllt mit einer unheilvollen Mixtur aus Schicksal, Schuld und Versagen. An einer im übertragenden Sinne ähnliche kann eine Gemeinde kaputtgehen, aber sie kann auch davon befreit und geheilt werden.
Und deshalb werden wir am Ende unseres Schriftwortes an den erinnert, der diese Verstrickung entwirrt und den unheilvollen Bann löst. Jesus, der mehr ist als Jakob und Esau und all das, was wir aus deren Geschichte erkennen, und zu Herzen nehmen können, zusammen.
Jesus Christus will befreien von diesem Fluch der bitteren Wurzel des Unfriedens und damit die wankenden Knie und müden Hände neu stärken, ja, gesund machen. Er ist der, der vom Himmel redet, um den Sprachgebrauch des Hebräerbriefes zu benutzen. Er redet aus einer anderen Dimension, nämlich der göttlichen. Und die überwindet all das Lähmende und krank machende Verhalten, das sich auch unter Christenmenschen breit machen kann. Und von daher wachsen uns neue Kräfte zu. Wir dürfen darum bitten. Und dann stehen wir auf festen Beinen und können wieder tatkräftig ans Werk gehen.
Es kann doch nur um den Aufbau der Gemeinde gehen, und nichts sonst. Es kann doch nur um Hilfestellung gehen für alle, die müde geworden sind, und sonst nichts. Es kann doch letztlich nur um den Dienst an den Menschen im Namen Jesu Christ gehen und sonst nichts. Je mehr es uns darum geht, umso weniger spüren wir das Gift der bitteren Wurzel, das immer wieder im Untergrund lauert. Geben wir ihm keine Chance. Übrigens: Eines können wir alle, egal wir stark wir sind oder uns fühlen: Auch müde Hände können sich noch zum Beten zusammenlegen oder öffnen. Und das hilft allemal.
Amen
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Erstellt am: 21.01.2014 11:19 Uhr