L I: Jes 8, 23b – 9,3 / Ev.: Mt 4, 12-23
Schwestern und Brüder!
Als ich das heutige Evangelium las, da fiel mir spontan die Geschichte jenes Indianers ein, der mit einem Freund durch eine amerikanische Großstadt spazieren ging. Mitten im Lärm der Stadt fragte er: „Hörst du die Grille zirpen?“ Sein Freund schaute ihn mit großen Augen an und begann, ganz angestrengt hinzuhören. Aber so sehr er sich auch mühte, er konnte für sich nur feststellen: „Ich höre sie nicht.“ Ein paar Minuten vergingen und der Indianer ließ eine Münze fallen. Nicht nur sein Freund, sondern auch viele Passanten drehten sich schlagartig um. „Du hast eine Münze verloren“, sagte der Mann. Doch der Indianer antwortete nur vielsagend: „Eine Geldmünze hörst du fallen, aber das Zirpen der Grille hörst du nicht.“
Manchmal habe ich den Eindruck: Wir modernen Menschen sind darauf trainiert, nur noch ganz bestimmte Dinge zu hören. Zum Beispiel, was wir im Augenblick so brauchen, was uns gut tut, was wir für uns selbst eben gerne hören möchten. Das Organ für die Botschaft des Evangeliums, für den Anruf Jesu scheint dagegen mehr und mehr zu verkümmern. Sicherlich: nun gibt es dafür – auch von kirchlicher Seite – genügend Punkte, die im Argen sind und die Botschaft des Evangeliums einfach auch negativ überlagern. Aber manches liegt doch wirklich an jeder und jedem von uns selbst. Der Anruf Jesu, die Lautstärke seines Wortes an uns, ist eben um einiges leiser als die schreienden Werbespots unserer Fernsehprogramme, der Plakatwände, unserer I-Phones oder Smartphones. Die Fähigkeit nämlich, die Stimme Jesu zu hören, die hängt auch mit unserer Bereitschaft zusammen, uns zu öffnen, ihn entdecken zu wollen und seinem Wort zu vertrauen. Hand aufs Herz: Wenn wir ihn hören und wenn wir unser Leben ändern sollen, dann fällt es doch vielen von uns schwer, genau aus dieser, unserer je eigenen Lebenssituation auszusteigen. Das Gesetz der Trägheit, das eigene Nest, das Wohlbefinden haben Anteil daran, dass wir uns nicht aufmachen können und andere Herausforderungen i.A.R. auch gar nicht wollen. Dabei gibt es genügend Menschen, die ihr Leben beispielhaft verändern, wenn der Ruf zu einem anderen Lebensstil für sie nur intensiv genug ist – auch in der Kirche selbst. Ich denke da z.B. an Erwin Kräutler, der 1965, wenige Monate nach seiner Priesterweihe in Salzburg, nach Brasilien ging und dort seit Jahrzehnten als Bischof am Amazonas mit den Ärmsten sein Leben teilt und mit ihnen Widerstand ausübt gegen alles, was das Leben dieser Ureinwohner beeinträchtigt. Ich denke an Lea Ackermann, die trotz eines Verbots der Amtskirche und ihrer Ordensgemeinschaft Kondome an Männer und Frauen in Afrika verteilt hat und sich zwischenzeitlich weltweit für geschundene und missbrauchte Frauen einsetzt.
Das Aufbrechen, um Jesus nachzufolgen, ist meist verbunden mit einer radikalen Lebensänderung. Aber sie geschieht aus dem tiefen Vertrauen heraus, dem Leben eine neue Dimension zu geben. Diese Erfahrungen haben auch jene Menschen gemacht, die Jesus von ihren Booten und Netzen weg, in seine Nachfolge gerufen hat. Er hat sie gerufen, so wie sie waren, mit all ihren Stärken und Schwächen, ihren Ecken und Kanten. Und sie? Sie haben seinen Ruf, ihr Leben neu zu gestalten, angenommen. Ein Leben, in dessen Verlauf auch Fehler passieren durften und ein übertriebener Eifer nicht gleich mundtot gemacht wurde – Petrus selbst ist dafür der beste Beweis.
Genau in dem aber, was dort und damals geschah, so meine ich, liegt auch die Antwort auf die Frage, wie Nachfolge heute aussehen kann – sowohl für die oder den Einzelnen, wie auch für die Kirche selbst. Erwin Kräutler erzählt dazu in seinen Vorträgen immer gerne diese brasilianische Weisheit. Auf die Frage: „Warum sind Fischer wie Simon und Andreas, Jakobus und Johannes die Ersten, die Jesus auf seinem Weg mitnimmt und warum sucht Jesus ausgerechnet einen Fischer wie Petrus aus, um ihm die Leitung der Kirche anzuvertrauen?, da antworten sie in den Basisgemeinden: Wer sich zu Land bewegt, baut eine Straße und asphaltiert sie. Dann wird er immer und immer wieder diesen Weg benutzen. Ein Fischer aber sucht die Fische dort, wo sie sind. Deshalb sucht er jeden Tag einen neuen Weg, um die Fische ausfindig zu machen. Denn es kann ja sein, dass der Weg von gestern nicht mehr zu den Fischen von heute führt.“
Für mich ist diese Weisheit einfach genial. Wir brauchen demnach das Gespür für die Dynamik, für die Veränderlichkeit des Lebens. Wir brauchen die Skepsis gegenüber festgelegten Routen und ausgetretenen Pfaden; das Fingerspitzengefühl für neue Wege und Möglichkeiten, sowohl eben als Einzelne wie auch als Kirche. Wenn ich die Texte des Neuen Testamentes lese, die Evangelien, die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe, dann habe ich den Eindruck, dass damals vom Geist Gottes und der Weisheit der Fischer wirklich etwas lebendig war. Denken wir nur mal das sogenannte Apostelkonzil in Jerusalem. Da hat eine Gruppe von gläubig gewordenen Pharisäern gefordert: Alle Heiden, die sich bekehren, müssen zuerst beschnitten werden. Petrus aber steht auf und sagt: „Gott selbst hat doch schon längst einen Zugang zu den Herzen der Heiden gefunden. Er hat sie genauso begeistert von der frohen Botschaft wie uns. Also: Warum sollen wir ihnen jetzt Hindernisse in den Weg legen?“ Jakobus pflichtet ihm bei und die Ältesten halten fest: Das Evangelium ist nicht nur für Judenchristen bestimmt. Denn: es gibt nicht nur die Straße der Beschneidung und der Gesetze, um Menschen zu Christus und zur Gemeinde der Christen zu führen. Ergo: Die Weisheit der Fischer hilft Petrus und den anderen Aposteln, sich von einer traditionellen Vorstellung zu lösen und einen neuen Weg zu ent-
decken.
Oder ich denke an die Wahl der sieben Diakone: Da fällt den Aposteln und
den anderen Jünger auf, dass die Witwen und Waisen in den Gemeinden vernachlässigt werden. Das Problem wird beraten und sie halten fest: Die bisherigen Strukturen unserer Seelsorge reichen nicht aus, wir brauchen ein neues Amt. Und so gibt es dann fortan neben dem Dienst der Verkündigung der Apostel eben auch das Amt des Diakons, der sich um die Armen zu kümmern hat. Sieben fähige Männer wurden auserwählt und für diesen Dienst beauftragt. So lässt man sich auf die Herausforderung einer neuen Situation ein und verteilt mutig neu die Verantwortung. Oder wir könnten jetzt auch sagen: Die Weisheit der Fischer hilft, die asphaltierten Straßen alter Strukturen zu verlassen und Wege zu suchen, die nicht dazu führen müssen, Gemeinden zu schließen oder zusammenzulegen, sondern ihnen vielmehr durch neue Ämter oder auch neu geteilter Verantwortung Leben vor Ort zu ermöglichen und dies in übersichtlichen Gemeinden und Gemeinschaften zu bewahren.
„Ein Fischer sucht die Fische dort, wo sie sind. Jeden Tag auf neuen Wegen. Denn es kann ja sein, dass der Weg von gestern nicht zu den Fischen von heute führt.“ Wenn ich mir die Kirche von heute so anschaue, das Erscheinungsbild vieler Gemeinden und vieler einzelner Christinnen und Christen, dann hoffe und wünsche ich mir, dass diese Offenheit und diese Risikobereitschaft auf der Suche nach dem richtigen Weg wieder deutlicher und stärker zu spüren ist. Was wir brauchen sind Christinnen und Christen, die etwas übrig haben für diese Weisheit der Fischer: die neue Zugänge zum Evangelium suchen und sich ihm auf unterschiedliche Weise nähern; die ihrem Glauben ein eigenes Profil geben durch Bibellektüre, Gespräche und die Mitfeier der Gottesdienste; die ihrer eigenen Berufung nachspüren und dabei Talente und Fähigkeiten entdecken, die für eine Gemeinde hilfreich und wichtig sind.
Es kann ja sein, dass die alten Wege der Glaubensweitergabe nicht mehr
ausreichen, um heute als Christ zu leben; dass wir erst dann wieder andere überzeugen können, wenn man uns selber ansieht, dass wir von Jesus begeistert und im positiven Sinne gefesselt sind. Was wir brauchen sind Gemeinden, die – bildlich gesprochen – nicht nur die Fische pflegen, die schon im Aquarium sind, sondern die offen auf all die Menschen zugehen, die auf ein befreiendes und ermutigendes Wort von uns warten. Vielleicht reichen auch die alten Straßen der Seelsorge nicht mehr aus, weil die Menschen sich verändert und bewegt haben; weil die Zeit eine andere geworden ist. Trotzdem sollen die Menschen aber erfahren: Hier bei euch kann ich aufatmen, da bin ich angenommen – so wie ich bin.
Und was wir brauchen ist nicht zuletzt eine Kirche, die bereit ist, sich auf Neues einzulassen; die nicht ängstlich und krampfhaft daran festhält, was früher einmal gut und richtig war; eine Kirche, die die Menschen dort sucht, wo sie jetzt sind, und zu denen sie in den „Schuhen des Fischers“ unterwegs ist. Ich glaube nicht, dass die asphaltierten Straßen einer herrschaftlichen, machtbetonten und angstmachenden Kirche heute in die Zukunft führen, sondern nur ein geschwisterlicher Umgang miteinander und eine Sprache, die die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen erreichen. Dazu brauchen wir heute unverheiratete und verheiratete Männer und Frauen – wir brauchen sie auch als Priester – um die Botschaft Jesu glaubwürdig und überzeugend zu verkündigen und wir müssen alle Normen und Strukturen prüfen, ob sie tatsächlich dem Geist Jesu entsprechen.
Lasst uns eine Kirche, eine Gemeinde, Christinnen und Christen sein, die sich von der Weisheit der Fischer anstecken lassen; die nicht Straßen asphaltieren, sondern die etwas riskieren – so wie damals. Amen.
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Erstellt am: 27.01.2014 18:08 Uhr