Jesaja 58, 1-12
1 Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
2 Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, daß Gott sich nahe.
3 »Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst’s nicht wissen?« – Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.
4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen läßt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Laß los, die du mit Unrecht gebunden hast, laß ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
10 sondern den Hungrigen dein Herz finden läßt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.
12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, daß man da wohnen könne«.
Das ist ja ein schöner Text zum Einläuten der Fastenzeit, liebe Gemeinde. In vielen Kirchen wird heute oder spätestens am Aschermittwoch die Aktion 7 Wochen ohne eröffnet. Gruppen, die gemeinsam fasten, werden sich bilden. Manche erhoffen sich körperlich heilende Wirkungen davon – Heilfasten. Andere möchten seelisch zu sich selber finden, das Wesentliche für sich und andere entdecken. Das Fasten boomteilfasten. An dere wollen zu sich selber finden, das Wesentliche für sich entdeckeHeil
. Auch und gerade in einem Bereich, in dem der religiöse Aspekt mittlerweile total abgespeckt ist.
Es geht dann um die Fastenden selbst, ihr Ideal von Gesundheit und Schönheit, Verzicht – zumindest auf Zeit – als heilsame Lebenseinstellung. Gelegentlich auch nur um gesunde Ernährung und erträgliches Körpergewicht oder als eine Sparte von Wellness und Spa. Und, liebe Gemeinde, so manche Fastenkuren kosten. Dafür, dass man wenig zu sich nimmt, wird sehr viel gezahlt.
Um ein solches Fasten geht es dem Propheten aber nicht, er kennt es ja auch gar nicht. Er kennt das Fasten als Vorbereitung auf die bevorstehende Nähe Gottes im Kult des Tempels mit seinen Festen und Höhepunkten im religiösen Jahreslauf. Aber auch bei dieser Fastenpraxis scheint er zu urteilen: Lasst doch den Unfug. Was soll das alles, und er tut es nicht einmal ohne höhnischen Unterton: Das soll ein Fasten sein?
Trotzdem: Es ist viel zu halten von Aktionen mit dem Namen „7 Wochen ohne.“ Und die Ernsthaftigkeit mit biblischer Besinnung und Gebet und einem Denken und Handeln über den eigenen kleinen Bereich und die persönliche beengte Welt hinaus, mit der an vielen Orten gefastet wird, ist doch wohl nur zu begrüßen. Was also will der Prophet und was sollen oder können wir tun oder auch lassen in den Wochen der Passionszeit, die vor uns liegen?
Es gibt eine Ausgangslage in unserem Predigtwort, die die Menschen zur Zeit des Propheten bewegt. Es ist die Zeit des Wiederaufbaus Jerusalems mit seinem Tempel als Mittelpunkt. Das Land ist weithin noch verwüstet, die sozialen Verhältnisse sind katastrophal. Landlose und bitter Arme gibt es in Hülle und Fülle, aber auch die anderen, die Krisengewinnler, die die Chancen der Zeit gnadenlos für sich wahrnehmen. Sie scheuen sich nicht, die Not der anderen auszunutzen, Billiglohn bei mangelnder Arbeit, menschenunwürdige Lebens – und Arbeitsverhältnisse, viele haben ja doch keine anderen Möglichkeiten.
Und gleichzeitig die Rufe nach Gott und seiner Nähe; das gläubige Gewand über unmenschliches Denken und Handeln gestülpt. Wie sich die Bilder gleichen, auch wenn die Zeiten sich ändern, die Umstände so ganz anders sind. Menschliches Verhalten mit seiner Grundstruktur ist alt, uralt und wiederholt sich immer wieder neu.
Auf diesem religiösen und sozialen Hintergrund treibt viele die Frage um: Gott, wann kommst du uns nahe. Und sie mühen sich ab, ja, sie fasten eben. Sie peinigen ihren Leib, so als wollten sie Gott regelrecht herbeizwingen. Das Heiligtum, die Stadt, Seine Stadt, die die Heilige genannt wird, die doch Sein Ort der Anbetung ist und das Land , Sein Land, das Land der Verheißung, da Milch und Honig fließt, sie sollen doch wieder strahlen, ihren alten Glanz oder gar einen ganz neuen gewinnen.
Diesen Menschen sagt der Prophet:
„So nicht. Euer Fasten und eure mühevollen religiösen Übungen schaffen euch nicht das Recht auf meine Nähe und meine Gegenwart“, spricht der Herr. Schon gar nicht, wenn Ihr auch noch dabei streitet, was der rechte Weg, wenn ihr gar mit Gewalt versucht, einander zu überzeugen, was die rechte Praxis sei. Es ist nicht genug, es reicht nicht, wenn ihr nur an euch denket, euer Seelenheil, euren inneren Einklang, euer psychisches Gleichgewicht, euer Selbst mit höchstmöglichem Wohlbefinden.
Der Rückzug auf die eigene Seele ohne Bezug zu den anderen, die Frömmigkeit ohne Weltbezug, die geistliche Haltung ohne handfeste Tat, ist nichts als ein geistlicher Torso. Oder zugespitzt mit Blick auf eines der Themen des Prophetenwortes und unserer Kirchenjahreszeit:
Der Verzicht des Fastens, der nicht auch anderen zugute kommt, ist nichts als Selbstzweck mit egoistischem Motiv. Oder noch ein wenig zugespitzter – und ich neige ja gerne dazu: Wer das beim Verzicht auf überflüssige und ungesunde Nahrung und mancherlei Genussmittel Ersparte, Hungernden zur Sättigung spendet, anstatt es in Wellnessoasen mit Sauerkraut – und manch anderen Säftlein und Mittelchen zu vergeuden, der hat begriffen, was Fasten, zumindest nach der Überzeugung des Propheten, meint:
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Ach, Gott sei es geklagt, immer wieder ist das Volk Gottes der Versuchung erlegen, die Verantwortung vor Gott, das Suchen nach seiner Nähe, die Dankbarkeit für seine unendliche Barmherzigkeit und Güte und die Weltverantwortung, das Suchen und die Nähe zum Nächsten, vor allem zu den unter die mancherlei zeitgenössischen Räuber gefallenen, von einander zu trennen.
Neue Spiritualität ist ja auch so ein Schlagwort der Kirche der Gegenwart. Ohne neue Handlungsmodelle der Nächsten – und auch der Feindesliebe, taugt sie eben auch nicht als christliches Lebensmodell, sondern fällt unter das vernichtende Urteil des Propheten. Der Kern biblischer Botschaft sowohl des Alten wie des Neuen Testamentes ist eben nicht nur auf individuelle Erbauung sondern auf Veränderung und Neugestaltung aus. Christliches Leben, im Alten Testament und vor allem bei den Propheten längst vorgebildet, geht immer in Richtung auf eine ganz und gar konkrete Alternative, ja manchmal auf einen regelrechten Gegenentwurf zu gängigen zeitgenössischen Lebens – und Gesellschaftsmodellen aus.
Jesus, gerade in seiner Passion, und auf die stimmen wir uns ja ein, macht uns das deutlich. Bei ihm sind Worte und Zeichen eins. Die Liebe Gottes zeigt ihr Gesicht in der der Liebe zum Nächsten oder sie ist keine gewesen. Die Eigenliebe erfährt in ihr ihre äußerst enge Begrenzung, so hat es Dietrich Bonhoeffer einmal erläutert. Und Jesus fastet, um der Versuchung zu widerstehen, diesen Weg nicht zu gehen. Sein Kreuz ist eben nicht ein spiritueller Ort geistlichen Hochgenusses, sondern es ist eingerammt in die Erde von Golgatha. Da sterben Schuldige und Unschuldige, Unbußfertige und Einsichtige. Da stehen die Trauernden und die Spötter. Da nehmen die feigen Gesellen Reißaus und das Hohngelächter der Feinde hallt über den kahlen Hügel. Da ist die gesamte Kalamität gebündelt und das grausame Schicksal so vieler Menschen ganz und gar präsent.
Und in diesem Kontext hält der Christus die Liebe Gottes durch, und die Treue und die Vergebung auch: Vergib Ihnen, sie wissen nicht was sie tun, Heute wirst du mit mir im Paradiese sein, und siehe: Das ist deine Mutter und das ist dein Sohn.
Gott lebt und stirbt in dieser Welt, er leidet an ihr, und so er erlöst sie. Ist Speise für die Hungernden, Dach für die Obdachlosen, Gemeinschaft für die Einsamen.
Was sind wir? In der Nachfolge Jesus befinden sich die, die beides zusammenhalten, wie es der Prophet einklagt und Jesus uns vorgelebt hat:
Die Frömmigkeit und das soziale Engagement.
Die Suche nach Seelenfrieden und die Friedensstiftung.
Das Fasten und die Weltverantwortung.
Die Nähe zu Gott und zum Nächsten, besonders dem gequälten.
Die sind auf dem Weg der Nachfolge Jesu und der Entsprechung zum Wort des Propheten. Und das hat Folgen; Folgen, die ganz und gar sichtbar sind als Zeichen der Anwesenheit Gottes in dieser Welt. Dafür steht das Gottesvolk des Alten Bundes und Kirche Jesu Christi in Vergangenheit und Gegenwart, dafür ist sie Anwalt und Repräsentant. Was das bedeutet, sagt der Prophet in großartigen Bildern wie:
Dein Licht wird hervorbrechen wie die Morgenröte.
Deine Heilung wird schnell voranschreiten.
Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle.
Du wirst heißen: Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert.
Da kann man wohnen.
Bilder, die unendlich trösten, nach den streitbaren Prophetenworten plötzlich in warmen Farben gemalt. Und es sind Bilder, die immer wieder vorkommen in der Bibel. Und ihnen allen ist gleich, dass sie die Nähe Gottes, um die es ja letztlich ging und geht, kennzeichnen.
Er ist wie die Sonne – Gott der Herr ist Sonne und Schild.
Er ist das Heil der Heiland, Schalom ist sein Kennzeichen.
Er ist die Quelle des Lebens, das lebendige Wasser.
Er schließt den Riss der Schuld und des Zweifels, der Verzagtheit und Resignation, der durch diese Welt und jeden von uns geht.
Er will bei uns wohnen und wir dürfen eingehen ein unter sein Dach.
Das, liebe Gemeinde haben wir heute als Christen zu sagen und zu leben. Wir erhalten es am Ende geschenkt vom Geber aller guten Gaben. Dieses Leben kann man nicht herbeizwingen, auch nicht durch Fasten. Denn es ist ein Leben in seiner Gegenwart und die wird nie für uns verfügbar durch noch so fromme Übungen. Es ist niemals unser Besitz.
Die Spannung aber zwischen der Erfahrung, dass Gott oft so weit weg ist und wir doch seine Nähe suchen und brauchen, wird letztlich nur überwunden in der Beziehung zu ihm, ganz persönlich und als Gemeinde: Du wirst rufen – der Herr wird antworten. Ein Leben in Gottes Gegenwart ist ein Leben vor seinem Angesicht. Im Dialog mit ihm. Im Gebet. Und dann, ja dann auch im Tun des Gerechten.
Amen
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Erstellt am: 04.03.2014 10:49 Uhr