10. So. nach Trinitatis
In der Schriftlesung mit dem Gebot, Gott, den Nächsten und sich selbst zu lieben, wurden wir an die Mitte unseres christlichen Glaubens erinnert.
Von der Gottesliebe handelt auch das Glaubensbekenntnis, das die Juden bis heute sprechen.
Dieses jüdische Urbekenntnis wird auch das Sch`ma Israel genannt – nach den beidenAnfangsworten: schema Israel „Höre Israel“.
Es steht im 6. Kapitel des 5. Mosebuchs in die Versen 4 – 9, auf das wir heute am Israelsonntag hören wollen.
4 Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
5 Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen
7 und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
8 Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,
9 und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen
Liebe Gemeinde,
es ist kein Zufall, wenn das Urbekenntnis der Israeliten mit einer Aufforderung beginnt:
schema Israel – Höre, Israel!
Mit dieser Aufforderung zum Hören wird zugleich die Weise ausgesprochen, wie die nachfolgende Worte über Gott und sein Wesen von uns aufgenommen werden sollen. Es genügt nicht, dass wir sie halt äußerlich zur Kenntnis nehmen, sondern sie wollen von uns mit dem Herzen gehört werden, so dass das Erinnerte für unser Leben prägend wird und uns in unserem Tun und Lassen bestimmt.
Höre, Israel:
Der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
In der hebräischen Ursprache klingt das so:
„sch´ma Israel: Jahwe Elohenu , Jahwe ächad.“
Jahwe heißt wörtlich „ich bin, der ich bin oder ich werde sein, der sich sein werde.
Dieser letzlich für uns unfassliche Gott wird im Text als einer bezeugt, der sich uns Menschen zuwendet, der unser Gott ist – einzigartig – nicht einer unter anderen Göttern.
In der Welt, aus der das Alte Testament kommt, kannte man viele Götter. Es gab beispielsweise Fruchtbarkeitsgötter oder Kriegsgötter.
Von solchen Göttern unterscheiden die Israeliten ihren Gott, der sich ihnen in der Geschichte
gezeigt hat: in der Erwählung der Erzväter, bei Abraham, Isaak und Jakob. Er hat sie aus der Knechtschaft der Ägypter befreit und ihnen beim Durchzug durch die Wüste die Zehn Gebote als Hilfe zur Lebensorientierung gegeben.
Mit diesen Ereignissen werden die Israeliten an Gottes Wirken in ihrer Geschichte erinnert,
an seinen Willen, auf den sie hören und von dem sie ihr Leben bestimmen lassen sollen.
Es ist daher konsequent, wenn dem Bekenntnis zu Gott, der in der Geschichte und im Leben wirksam ist, die Aufforderung zur Liebe folgt:
Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
Bei diesem Gebot, das auch Jesus wiederholt und in der Schriftlesung mit der Nächsten- und Selbstliebe ergänzt, stellt sich die Frage:
Kann man Liebe überhaupt gebieten und dazu noch für Gott, der doch für uns Menschen unbegreiflich ist? Wenn wir bei Liebe lediglich an ein Gefühl denken, das man hat oder nicht,
dann ist es in der Tat schwierig, dieser Bitte zu entsprechen.
Nun ist aber das Wort Liebe im alttestamentlichen Sinn umfassender zu verstehen.
„Gott lieben“ das heißt: Gott achten, ihn respektieren, ihm vertrauen.
Mit „Gott vertrauen“ ist zugleich ein „sich Gott überlassen“ gemeint und zwar mit unserer ganzen Existenz.. Im Text heißt wird diese Ganzheit mit Herz, Seele und Kraft ausgedrückt:
Du sollst lieben den Herrn, deinen Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
Wir werden gebeten, uns in allem an Gott auszurichten und ihn die Mitte unseres Lebens sein zu lassen. Dies ist nicht nur ein einmaliger Akt, sondern eine Aufgabe, die es täglich und lebenslang einzuüben gilt.
In den nachfolgenden Anweisungen wird dies deutlich ausgesprochen und an Beispielen veranschaulicht.
Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen.
Zu Herzen nehmen, beherzigen, ist mehr als nur äußerlich zur Kenntnis nehmen. Nein, es soll tiefer in uns dringen und uns in allem, was wir denken und tun, bestimmen.
Es reicht nicht aus, sich nur gelegentlich an Gott und sein Wort zu erinnern.
Wir kommen in unserer spirituellen Entwicklung nicht weiter, wenn wir Gott im Alltag ausklammern und nur in besonderen Situationen, wenn es uns schlecht geht, von ihm reden oder zu ihm beten.
In den gehörten Anweisungen soll Gott unseren Alltag bestimmen. Auch in der Erziehung habensie ihre Bedeutung: Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
Bei frommen Juden ist es üblich, dass die Worte des sche`ma zweimal am Tag gesprochen werden: bei Sonnenaufgang und nach dem Sonnenuntergang.
Ich denke, es könnte auch für uns Christen eine Hilfe sein, einen Tag bewusst zu beginnen und zu beenden. Wie wir den Tag beginnen, das entscheidet mit über den Verlauf eines Tages.
Wenn wir den Tag beispielsweise mit Gedanken beginnen, was alles zu erledigen ist und mit der Sorge, ob wir den Anforderungen des Tages gewachsen sind, hat dies Auswirkungen auf unser Tun und kostet Kraft.
Anders ist es, wenn wir nicht mit dem Terminkalender den Tag beginnen, sondern mit einer Besinnung, durch die wir erst einmal Kraft schöpfen, um den täglichen Herausforderungen gewachsen zu sein.
Was auf den Tagesbeginn zutrifft, das gilt in gewisser Weise auch von der Beendigung eines Tages. Beenden wir den Tag mit Eindrücken, die das Fernsehen hinterlässt, oder nehmen wir uns vor dem Schlafen Zeit, das am Tag Erlebte nochmals zu bedenken und legen es in Gottes Hände?
Jeder mag seine Weise haben, was ihn zur Ruhe kommen lässt und was ihm Frieden schenkt. Hilfreich für uns Ältere können vertraute Liedverse aus dem Gesangbuch sein oder auch Gebete – beispielsweise Luther`s Abendsegen.
Nicht bloß am Morgen und am Abend soll nach jüdischer Tradition das sche`ma gesprochenwerden, sondern auch beim Sterben. Gerade wo wir Menschen an unsere Grenzen kommen, beim Sterben, befreit uns die Ausrichtung auf Gott von der Todesangst. Beim Sterben, wo alles Irdische keinen Halt zu geben vermag, begreifen wir möglicherweise noch tiefer, was die Worte besagen: Der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
In einer Zeit, in der Gott nur am Rande, wenn überhaupt, Beachtung findet, brauchen wir Merkzeichen, und Gedächtnisstützen, die uns an Gott und sein Wirken erinnern.
Im gehörten Text ist von solchen Zeichen die Rede, die mitten im Alltag an Gott und seine Worte
erinnern sollen. Es wird da auf Gebetsriemen verwiesen, die auch heute noch von strenggläubigen Juden an den Armen und an der Stirn zwischen den Augen getragen werden.
Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen den Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
Dass der Text des sch`ma Israel auf die Türrahmen und auf Stadttore geschrieben werden soll, macht deutlich, dass Gott nicht bloß in der Familie beachtet sein soll, sondern auch in der Öffentlichkeit und in der Politik. Es ist wohl kein Zufall, wenn die beiden Worte „Höre, Israel!“ am Eingang des israelischen Parlaments stehen.
Um wie viel menschlicher und friedlicher könnte es auf unserer Welt sein, wenn unsere Parlamente auf Gott ausgerichtet wären und sich vom Geist der Menschlichkeit und Gerechtigkeit leiten ließen.
Es genügt nicht, über Menschenrechte zu debattieren, sondern sie wollen auch umgesetzt werden. Eine bessere und gerechtere Welt entsteht nicht durch politische Programme und leere Parolen, sondern durch Menschen, die sich in ihrem Leben ganz von Gott leiten lassen – für uns Christen von einem Gott, der sich in Jesus Christus als Liebe und Gerechtigkeit zeigt.
Und damit komme ich nochmals auf die Merkzeichen an Stirn und Händen zurück.
Veränderungen im Großen beginnen, wo Menschen sich von Gottes Liebe erfüllen lassen und sie in Achtung voreinander und Solidarität miteinander zu leben versuchen.
Gott will nicht bloß im Gottesdienst für eine Stunde in der Woche, sondern mitten im Alltag wahrgenommen und bezeugt werden.
Und dazu können Merkzeichen und Rituale durchaus hilfreich sein, wenn wir sie wahrnehmen und beherzigen.
Seit ich in Maria Steinbach lebe, lerne ich christliche, auch katholische Rituale und Bräuche,
in neuer Weise schätzen. So kann die Aufschrift der Sternsänger an den Haustüren durchaus eine Erinnerung an Gottes Segen sein, von dem wir leben.
Auch die Feldkreuze auf den Fluren können uns zum Nachdenken bringen und uns auf Gott hinweisen.
Gerade in einer Gesellschaft, in der Gott im Alltag geradezu ausklammert wird, wenn wir an die Debatte über Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden denken, ist es wichtig, Zeichen und Symbole, die auf Gott und sein Wirken hinweisen, neu wahrzunehmen und zu beleben.
Dies kann auch schon dadurch geschehen, dass wir wieder mehr darauf achten, mit welchen Worten wir einander grüßen. So wird derzeit „Grüß Gott“ mehr und mehr durch „Hallo“ ersetzt.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch beim Abschiedsgruß beobachten.
„Adieu“ schwäbisch „Ade“ heißt wörtlich „mit Gott“ und ist ursprünglich ein Segenswort.
Im heutigen Predigttext sind wir eingeladen, Gott mitten im Alltag wahrzunehmen und unser Leben nach ihm auszurichten. Wir sind eingeladen, uns Gott und seiner Liebe zu öffnen und sie einander weiterzugeben. Das ist der Weg, den uns Jesus Christus gezeigt hat.
Denn „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“.(1.Joh.4,16)
In diesem Sinn wollen wir die Worte aus dem 5. Mosebuch heute hören und unser Leben davon bestimmen lassen:
Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft – und – so hat Jesus nicht ohne Grund hinzugefügt- und deinen Nächsten wie dich selbst.
Amen
Infos unter:
Erstellt am: 25.08.2014 20:02 Uhr