Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Es soll Schwäbische Dörfer gegeben haben, verehrte Schwestern und Brüder, in denen das Spazierengehen verpönt war, also das Herumgehen ohne ein festes Ziel, einfach nur so, um die Landschaft zu betrachten und zu genießen. Wer trotzdem spazieren gehen wollte, ohne kritische Blicke auf sich zu ziehen, der hätte sich einfach eine Hacke über die Schulter gelegt – um so den Anschein zu erwecken, er sei unterwegs zum Schaffen. So hat man mir erzählt, damals, als ich vor der Frage stand: Warum man uns Schwaben eigentlich nachsagt, dass wir nur eines wirklich können würden: nämlich schaffa – also arbeiten!! Nun habe ich solche Dörfer in meiner schwäbischen Heimat nie kennengelernt. Aber vor kurzem, bei einem Zeitungsbericht, da habe ich wieder daran gedacht und an das Kopfschütteln, das diese Meldung auslösen könnte.
Da wurde nämlich berichtet, dass es in Kassel einen Professor für Promenadologie gibt, also für die Wissenschaft vom Spazierengehen. „Unglaublich, womit mancher heutzutage sein Geld verdient!“ mag mancher denken. Wenn man aber genauer liest, merkt man: es geht natürlich nicht um lockeres Spazierengehen durch die Gegend, sondern um das bewusste, wache Wahrnehmen unserer Umwelt. Und das ist ja ganz unterschiedlich, je nachdem, ob wir mit dem Auto unterwegs sind oder mit dem Fahrrad oder zu Fuß – und vielleicht auch, ob man eine Hacke auf der Schulter trägt oder nicht.
Was könnte uns denn nun die Promenadologie lehren? Martin Schmitz, der diesen Lehrstuhl für Spaziergangswissenschaften innehat, sagt: Es geht darum, die Augen zu öffnen und die uns umgebende Welt wieder in die Köpfe zurückzuholen. Die Menschen müssen einfach dieses Naturkino, zum Beispiel das Ändern des Wetters, wieder wahrnehmen.
Die Dichter können uns natürlich auch diese Kunst lehren. Aus einem Gedicht von Mascha Kaleko stammen die Zeilen:
Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit…
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
die von der Erde in den Himmel führt.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freu mich, dass ich… Dass ich mich freu.
Ihnen allen, einen schönen Sonntag!
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Erstellt am: 08.09.2014 19:03 Uhr