L I: Jes 55, 6-9 / Ev.: Mt 20, 1-16
Schwestern und Brüder!
Das eben gehörte Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, es gehört wohl zu den Texten des Evangeliums, die bei uns spontan Kopfschütteln und Unmut hervorrufen. Und warum? Weil das Verhalten des Weinbergbesitzers – zumindest auf den ersten Blick – unserem Gerechtigkeitsgefühl total widerspricht. Der, der fast nichts gearbeitet hat, wird hier genauso entlohnt wie der, der den ganzen Tag geschuftet hat. Ist das aber nicht eine Anleitung zur Arbeitsverweigerung? Kann man da nicht alle „Fünfe grade sein lassen“ und einfach den Tag und die Sonne genießen? Warum sich anstrengen – es geht doch anscheinend auch anders! Die Empörung von einigen Arbeitern über den Weinbergbesitzer ist für mich – und wahrscheinlich auch für Sie – durchaus nachvollziehbar. Und trotzdem meine ich, sollte sie uns nicht davon abhalten, den Text noch einmal genauer zu studieren, um ihm ja auch gerecht zu werden. Denn im bislang geschilderten Sinn wäre er für viele ja nicht unbedingt eine „Frohe Botschaft“, sondern eher Anlass zum Ärgernis. Also: Worum geht es Jesus? Worin besteht der Denkanstoß des heutigen Sonntags für Sie und für mich?
Mir war bei der Sinnerschließung dieses Gleichnisses eine Aussage behilflich, die nicht aus dem heutigen Evangelium stammt, sondern aus dem Tagebuch der Schriftstellerin Ilse Aichinger. Ich möchte sie Ihnen nicht vorenthalten, denn ich glaube schon, dass sie auch Ihnen eine neue Sichtweise schenken kann. So heißt es da in einem Abschnitt: „Liebe – bitte aus dem Vergleich ziehen!“ Noch einmal – und ich bitte Sie jetzt, sich nach dem Wort „Liebe“ einen Doppelpunkt vorzustellen: „Liebe: Bitte aus dem Vergleich ziehen!“
Ich mag dieses Wort sehr – und weshalb? Weil hier in aller Kürze und Klar-
heit gesagt wird, dass das Wesen und oft genau auch das Rätselhafte der Liebe eben ihre Unvergleichbarkeit ist. Was ich damit meine ist: Eine echte, tragfähige und auch reife Liebe, die hält den geliebten Menschen für einzigartig, nicht austauschbar, für mit nichts und niemandem vergleichbar. Deshalb gibt es ja auch manchmal Menschen, die genau darüber nur eines können, nämlich den Kopf schütteln. Aber dieses Wort sagt sehr viel Wahres aus. Denn andersherum gesagt bedeutet es doch: Das Ende einer Liebe dämmert dann auf, wenn der Vergleich oder das Vergleichen beginnt; wenn Vorzüge oder Nachteile des einen Menschen abgewogen oder gar mit den Eigenschaften eines anderen verglichen oder gegen sie ausgespielt werden. Dann schleicht sich die Liebe davon, weil plötzlich nur deshalb Maßstäbe angelegt werden, um die Einzigartigkeit der oder des anderen in Zweifel ziehen zu können. Denn wahre Liebe bedeutet: „Man muss sie aus dem Vergleich ziehen!“ Man darf sie nicht dem Vergleich mit etwas oder jemandem anderen unterziehen.
Nun sagen wir Christen ja oft, um das Wesen unseres Gottes zu beschreiben: „Gott ist die Liebe!“ Und wir saugen uns diese Formulierung nicht aus den Fingern, sondern entnehmen sie aus dem ersten Johannesbrief, wo es heißt: „Gott ist die Liebe!“ Diese Formulierung ist ganz auf der Linie der Botschaft Jesu und heißt für mich: Wenn ich beginne zu vergleichen, dann verdunkle ich genau diese Liebe Gottes!
Jetzt fragen Sie sich aber zu recht: Wo liegt denn jetzt das Hilfreiche dieses Wortes für ein besseres oder tieferes Verständnis des heutigen Evangeliums? Nun die Arbeiter der ersten Stunde „murren“ oder „maulen“ ja bei ihrem Lohnempfang: „Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und Du hast sie uns gleichgestellt, die wir den ganzen Tag über die Last und die Hitze ertragen haben…“ Es ist das in unseren Augen verständliche Aufbegehren jener, die sich ausgerechnet hatten, mehr als einen Denar zu bekommen. Nicht wahr? Wenn die einen für eine Stunde Arbeit – noch dazu in der kühlen Abendstunde“ einen Denar erhalten, dann darf man doch wohl für 12 Stunden durchaus 12 Denare erwarten – oder nicht? Aber falsch gelegen. Sie erhalten gleichfalls nur den einen vereinbarten Denar. Das empfinden die Arbeiter damals und das empfinden wir als ungerecht und es widerspricht in unseren Augen allen Grundsätzen der Arbeitswelt und einer gerechten Entlohnung.
Doch was würde Jesus sagen? Ich denke mir, er würde sagen: „Ja, es ist ungerecht – aber eben nur im Vergleich!“ Und da hat er nicht unrecht. Denn wenn wir genau hinschauen sehen wir doch, dass sich am frühen Morgen alle handelseinig waren. Da hielten die Tagelöhner diesen vereinbarten Lohn des Gutsbesitzers sogar noch für mehr als gerecht. Erst am Abend dann – im Vergleich – da kommt das große Gefühl der Ungerechtigkeit auf. Am Abend sehen sie nicht mehr auf das Maß des Gutsherrn, sondern da legen sie ihre eigenen Maßstäbe an: Sowohl ans ich selbst, als auch an die anderen. Erst am Abend denken und sagen sie dann laut und vernehmlich: Das haben wir doch nicht verdient! Die Ungerechtigkeit, gegen die sie sich empören, die rührt zweifellos aus dem Vergleich des Lohns; sie kommt aus dem Verrechnen der eigenen Leistung mit der der anderen. Abends setzen auf einmal sie das Maß, während sie am Morgen noch mit dem Maß des Gutsherrn durchaus einverstanden waren.
Mir wird bewusst, dass Jesus uns hier darauf aufmerksam macht, dass meine Ansprüche, meine Erwartungen auf der einen Seite und Gottes Gabe und Gottes Lohn auf der anderen Seite, dass das sehr verschiedene Dinge sein können. „Womit habe ich das verdient?“ – das ist eine menschliche, nur allzu verständliche Frage an Gott, die wir alle kennen; vielleicht weil wir sie selber schon gesagt oder sie zumindest von anderen gehört haben. Dabei ist ja, wenn wir diese Aussage machen, meistens etwas Schweres damit gemeint; etwas, das verdammt weh tut oder einen herben Verlust bedeutet. Viel zu selten fragen wir ob wir das Gute und Beglückende, was uns in unserem Leben widerfährt, verdient haben. Da könnten wir diese Frage doch durchaus auch einmal stellen. Womit haben wir es denn verdient, dass es uns so gut geht und wir uns nicht – wie viele andere Menschen auf dieser Erde – einschränken müssen? Womit habe ich das verdient, dass meine Kinder wohlauf sind und einen sicheren Arbeitsplatz haben? Womit habe ich das verdient, dass es Menschen gibt, die mich mögen, die an meiner Seite sind; dass es einen Menschen gibt, der mich liebt und das Leben mit mir teilt? Womit, bitte schön, habe ich all das verdient?
Meistens aber fragt so nicht der Glückliche und Gesunde, sondern der Kranke, der Trauernde, der Leidgeprüfte – und er meint dann mit dieser bedrückenden Frage bereits die Antwort andeuten zu können: Nein, ich habe es eben nicht verdient, mein Gott! So verständlich diese Frage auch sein mag; aber spüren wir das? Mit diesem „Murren und maulen“ setze ich, setzen wir selbst das Maß dessen, was ich oder was wir angeblich verdient haben und was nicht. Doch Jesus macht uns da einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Denn mein Anspruch kann nicht das Maß für Gottes Liebe und Zuwendung sein. Ich werde ihn nicht verstehen, seine Liebe nicht begreifen lernen, wenn ich mein Leben und mein Geschick immer nur mit dem der anderen vergleiche. Sicherlich: Ich habe ein Recht auf Gottes Zuwendung und auf seinen Lohn, wenn ich auf seinen Namen getauft, in seinen Dienst getreten bin und ihm mit meinem Leben nachfolge. Das sagt und bestätigt mir dieses Gleichnis eindeutig. Allerdings sagt es mir aber auch: Du, lieber Bertram, hast kein Recht festzulegen, wie diese Zuwendung Gottes an Dich ausfallen soll. Und noch weniger hast du ein Recht, den „Lohn“, den Gott dir gibt, mit dem der anderen zu vergleichen. Harter Tobak für fromme Seelen, die sich meinen den Himmel verdienen zu können und die täglich ausrechnen, was sie wohl schon alles auf ihr himmlisches Konto einbezahlt haben, ich weiß. Aber es ist so!
Dieses Gleichnis ist für mich nichts anderes als ein Bild für die neue Welt
Gottes. So sieht es aus, wenn Gott das Heft in der Hand hat. Und er fragt uns dabei ganz schlicht und einfach: Darf ich mit dem, was mit gehört nicht gut sein? Ist es wirklich so schlimm, dass es in meinem Reich ganz anders zugeht, als ihr, als du es erwartest? Dass eben niemand zu kurz kommt? Wenn wir überlegen, dass eine Familie damals einen Denar benötigte, um einen Tag Essens- und Versorgungstechnisch überlebe zu können, dann tut sich da noch eine ganz andere Dimension auf – nämlich die, dass Jesus allen Menschen zum Leben verhelfen möchte; nicht nur ein paar wenigen – allen!
So möchte ich schließen mit einem Hymnus aus dem kirchlichen Stundengebet, in dem es heißt:
Wir haben die Last des Tages getragen: Die Arbeit war schwer und drückend die Fron. Nun kommt der Meister und zahlt uns den Lohn.
Ob zur ersten Stunde oder zur elften, hier gilt kein Pochen auf Recht und Verdienst; nicht dein, sondern sein ist, was du gewinnst.
Der Herr verachtet das Auge der Neider. Wer dürfte ihn hindern, gütig zu sein? Er reicht auch dem Letzten sowohl Brot als auch Wein.
Infos unter:
Erstellt am: 24.09.2014 12:36 Uhr