Zündfunke, 26.09.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
„Das dauert ja wieder endlos“, schimpft Tante Erika, liebe Schwestern und Brüder. Sie steht mit Onkel Erwin im Stau. Freitagnachmittag, stadtauswärts. Irgendwo geht es nicht weiter. „Das wird doch kein Unfall sein, sonst kann das dauern.“ – „Jetzt stehen wir hier vielleicht grad mal fünf Minuten“, sagt Onkel Erwin. „Ach was“, schimpft Tante Erika. „Eine halbe Ewigkeit, und nichts rührt sich.“
„Fünf Minuten – eine halbe Ewigkeit? Und eine ganze Ewigkeit, das wären dann zehn Minuten, oder wie?“ Erika verdreht die Augen. Ein Polizeiwagen fährt mit Blaulicht an ihnen vorbei. „Oh je“, sagt Tante Erika, „doch ein Unfall. Die armen Leute, da will ich mal gar nichts sagen, wenn ich ein paar Minuten im Stau stehe.“ – „Keine Ewigkeit? Hast du schon mal darüber nachgedacht, was das ist, die Ewigkeit?“, fragt Onkel Erwin sie.
„Sicher, da gibt es eine Geschichte“, sagt Erika. „Die Ewigkeit, das ist wie ein großer Berg aus Diamant. Und alle tausend Jahre kommt ein Vogel und wetzt seinen Schnabel dran, einmal, und wenn der Berg abgetragen ist von dem Schnabelwetzen – dann ist die erste Sekunde der Ewigkeit vergangen.“ – „Das ist ja sehr schön“, sagt Onkel Erwin, „aber leider hat deine Geschichte einen Denkfehler. Das klingt nämlich so, als ob die Ewigkeit aus Zeit bestehen würde.“ – „Ja, was denn sonst? Aus Diamant ja wohl nicht.“
Doch Onkel Erwin kennt seine Erika und lässt sich nicht drausbringen. „Das ist doch eine ganz grässliche Vorstellung – dass es immer so weiter geht. Wie in den Witzen über den Himmel. Dass man für immer als Engel mit einer Harfe auf der Wolke sitzt und wie langweilig das dann werden muss und wie man das aushält.“ – „Diese Witze fand ich schon immer blöd“, sagt Erika. „Ich glaube“, sagt Erwin, „wir können uns das nicht wirklich vorstellen, weil wir uns ein Leben ohne Zeit nicht denken können. Aber ich glaube, die Ewigkeit ist ohne Zeit. Die Zeit hat dann einfach keine Bedeutung mehr.“
„Und wir sind oft so ungeduldig“, sagt Erika, „weil wir immer meinen, wir haben nicht genug Zeit. Oh, ich glaub, da vorne geht es weiter.“ – „Ja“, sagt er, „unser Verstand kommt da schnell an seine Grenzen. Alles was wir uns vorstellen können, ist nur…“
Ihm gehen die Worte aus. Außerdem fahren sie gerade an der Unfallstelle vorbei. Zum Glück scheint nicht viel passiert zu sein. „Ja“, sagt Erika, „alles, was wir uns vorstellen können, ist nur ein ganz kleines Schnabelwetzen an einem Berg aus Diamant, von einem Vogel, der nur alle tausend Jahre vorbeikommt – so etwa?“
Er schaut zu ihr rüber. Hat sie mal wieder das letzte Wort behalten! Aber dieses Mal hat sie es verdient.

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Erstellt am: 29.09.2014 14:19 Uhr

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